s ist vollbracht, auch ich habe die voluminöse Kampagne
"Beyond the Mountains of Madness" gelesen. Dabei
sind mir eine ganze Reihe von Punkten aufgefallen, die eine
kritische Erwähnung finden sollten. Insoweit ist dieser
Beitrag eine Ergänzung zur Rezension derselben Kampagne
im Arkham Chronicle Nr. 8.
In der besagten Rezension von Peter Schott wurde, vielleicht
mit Rücksicht auf die Zeichner, noch kein Wort über
Karten und Bilder in der Kampagne verloren. Über diese
kann man sich auch nur bedingt lobend äußern. Während
die Zeichnungen von Paul Carrick durchaus zu gefallen wissen,
da sie auf ihre verwaschene Art das Flair des Abenteuers an
den richtigen Stellen unterstreichen können, gilt dies
nicht in der gleichen Weise für die steril und schmucklos
wirkenden Bilder von M. Wayne Miller. Aber immerhin kann man
diesen noch chaosiumübliche Qualität attestieren.
Ganz finster sieht es aber mit den Karten zum Abenteuer
aus, die von einem der Mitautoren des Mammut-Bandes erstellt
wurden. Oder eher: skizziert und hingekritzelt wurden. Als
wären sie einfach mal als Notizen auf einer langen Bahnfahrt
erstellt worden und so bei Chaosium abgegeben worden. Zum
Teil fast unbrauchbar, in jedem Fall aber derart mangelhaft,
daß sie das im Abenteuertext beschriebene Flair gleich
wieder zu zerstören verstehen. Besonders peinlich ist
dies bei den vorkommenden Landkarten. Eine authentische Karte
der Antarktis wäre hier den grob gezeichneten, unkenntlich
klein beschrifteten, handgezeichneten (handskizzierten) Landkarten
deutlich vorzuziehen gewesen. Ebenfalls unverständlich
ist, warum sich niemand die Mühe gemacht hat, von Polarausrüstung
und den vorkommenden Flugzeugen Fotografien zu besorgen. Von
einem Schiff sind ja immerhin mal Fotos abgedruckt. Denn die
Zeichnungen der Ausrüstung sind nicht nur schwach, sondern
lösen z.B. im Fall der Darstellung der Polarkleidung
prustende Lachkrämpfe hervor. Dazu werfe man einmal einen
Blick auf S. 418. Peinlich. Zumal eigentlich nicht einsichtig
wird, warum keine Fotografien herangezogen wurden. Denn die
Autoren haben ihre Kampagne gründlich recherchiert und
massenhaft Quellenliteratur benutzt - Literatur, die sicherlich
auch passende Fotografien anzubieten hatte. Und Fotos könnten
gegenüber den zum Teil fehlerhaften Zeichnungen der Flugzeuge
(z.B. wird die Ju 52 mit schief montierten Motoren dargestellt
- so ein Quatsch!) neben zeitgenössischem Aussehen der
Maschinen auch noch die Größe des Flugzeugs besser
vermitteln. Mir ist übrigens auch nicht einsichtig, warum
mit einer Ju 52 im Abenteuer angeblich nur 6-8 Personen (incl.
Pilot und Kopilot) befördert werden können.
Den Spielern sollte man tunlichst keine der Karten als Kopie
vorlegen, sonst könnte die mühsam am Spieltisch
erarbeitete Atmosphäre im Nu hinüber sein. Falls
ein Spielleiter sich die Mühe gemacht hat, eigene, schönere
Karten zu der Kampagne zu zeichnen, möge er sich bitte
an Ingo wenden. Vielleicht kann man sie dann in einem der
nächsten Chronicles einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich machen.
Aber auch zum Inhaltlichen der Kampagne sind einige kritische
Anmerkungen angebracht. Wer die Kampagne noch als Spieler
in vollen Zügen genießen will, sollte an dieser
Stelle nicht weiterlesen, auch wenn keine allzu intimen Details
des Abenteuers verraten werden sollen.
Rollenspieler mögen es im allgemeinen nicht besonders
gerne, wenn sie "an der Hand genommen werden" und
von einem "Boss" durch das Abenteuer geführt
werden. Doch genau das ist über weite Strecken der Kampagne
der Fall: Ständig erhalten die Charaktere Anweisungen,
was sie zu tun und zu lassen haben. Die Entscheidungsfreiheit
der Spieler ist in etwa so groß wie bei einem Soloabenteuer
(entweder Abschnitt 24 oder Abschnitt 46...). Daß die
Spieler eigentlich nichts machen können, wird durch regelmäßige
Orgien der verschiedensten Eigenschaftsproben kaschiert. Sicherlich
ganz nett, aber kein Ersatz für eigene Entscheidungsfreiheit.
Immerhin sind die Spieler im zentralen Teil des Abenteuers,
dem "Finale", wenn man es so nennen mag, ihr eigener
Herr. Alles andere wäre wohl auch wirklich unerträglich
gewesen. Wer besonders freiheitsliebende Spieler hat, der
sollte sich überlegen, ob er die Kampagne in der vorliegenden
Weise präsentieren will.
Nach der Lektüre der Kampagne stellt sich ferner die
Frage, ob ein solcher Wälzer wirklich nötig gewesen
wäre. Gerade in der Antarktis gibt es seitenlange Passagen,
in denen nur in gebetsmühlenhafter Wiederholung das Flair
der Gegend beschrieben wird. Oder langatmige Beschreibungen,
wie sich diverse NSCs untereinander unterhalten. Besser zu
lang als zu kurz, würde ich sagen, aber man hätte
sich bestimmt 50 Seiten sparen können.
Die Autoren haben außerdem wohl derart viele Bücher
über Antarktisexpeditionen gelesen, daß sie der
Meinung waren, ihr Wissen nun auch komplett im Abenteuer umsetzen
zu müssen. Resultat ist eine manchmal übertriebene
Detailverliebtheit, die den Spielfluß verlangsamt und
vermutlich irgendwann die Spieler zu nerven beginnt. Wiederum
ist aber zuzugeben: lieber zu viel als zu wenig, kürzen
kann man als Spielleiter immer noch.
Schwer enttäuscht war ich von dem Teil über die
Erforschung der Stadt der Elder Things. Denn hier haben die
Autoren nicht gewagt, über die Erzählung "Mountains
of Madness" hinauszugehen. Wer die Geschichte kennt,
dem bietet sich hier fast nichts Neues. Die dort vorkommenden
Örtlichkeiten werden beschrieben, und dazu nur noch eine
Handvoll mehr, allesamt mäßig originell. Bei einer
Stadt von 30 Meilen mal 200 Meilen Größe wirklich
schwach, fast nur Altbekanntes zu präsentieren. Auch
die Wandverzierungen in den Gebäuden geben keine über
die in der Geschichte beschriebenen Informationen hinausgehenden
Auskünfte über die Elder Things. Hier bleibt es
dann wohl am Spielleiter hängen, sich noch originelle
Funde zu überlegen. Etwas schade, wenn es bei einer solchen
Megakampagne noch Lücken zu schließen gibt.
Offenbar sind die Autoren große Freunde von hohen STA-Verlusten.
Ich habe tatsächlich schon von Spielrunden gehört,
in denen es für jede Nichtigkeit brutale Abzüge
an STA gibt, nur weil der Spielleiter es besonders amüsant
findet, wenn die Charaktere ständig wahnsinnig sind.
Oder weil er sich "Taint of Madness" gekauft hat
und das Buch nun auch benutzen will...
Jedenfalls gehen die Verluste an STA über ein vernünftiges
Maß deutlich hinaus und widersprechen zum Teil auch
Angaben im Grundregelwerk: Für noch nicht ausgewachsene
Elder Things (den "Kindergarten") verliert man 1W3/1W6+1
STA, aber für die erwachsenen Wesen regelgetreu nur 0/1W6.
Das ist kaum haltbar. Und für den Unknown God bekommt
man gar 2W10/1W100 STA abgezogen, mehr als man verliert, falls
man dem Dämonensultan Azathoth über den Weg läuft
(dort sind es 1W10/1W100). Und noch viele weitere Beispiele
über das Abenteuer verstreut verlangen übertrieben
hohe Abzüge.
Eine ganz wichtige Frage wird in der Kampagne überhaupt
nicht angesprochen: was passiert eigentlich, wenn ein Charakter
stirbt? Und das, obwohl so etwas nicht nur zufällig vorkommen
kann, sondern nach etwa 4/5 des Abenteuers sogar eingeplant
ist. Normalerweise kann ein neuer SC ohne Probleme eingeführt
werden, aber wo soll ein solcher in der Antarktis herkommen?
Lösung kann nur sein, die Spieler jeweils zwei Charaktere
führen zu lassen, damit im Todesfall noch ein Ersatzmann
da ist. Nicht jede Spielrunde wird damit aber glücklich
sein. Oder man macht kurzerhand einen NSC zum SC, was aber
dadurch etwas erschwert wird, daß die NSCs und ihre
Handlungsweise in der Kampagne ständig vorgegeben sind.
Vermutlich war man sich der Schwierigkeit des Problems bewußt
und hat es deshalb lieber gleich unter den Tisch fallen lassen.
Während ein normales Abenteuer mit dem Finale in der
Regel seine Klimax erreicht und dann ausklingt, haben die
Autoren dieser Kampagne einen, sagen wir, "ungewöhnlichen"
Weg beschritten: Auf S. 234 ist der Höhepunkt erreicht.
Doch wir erinnern uns: der Band hat 438 Seiten! Zugegebenermaßen
geht der pure Abenteuertext ohne Anhänge nur bis S. 285,
aber auf 51 Seiten findet man in anderen Publikationen von
Chaosium ja immerhin auch 2-3 eigenständige Abenteuer.
Und statt die Kampagne ausklingen zu lassen, folgen nach der
Klimax noch weitere Episoden. Schwierig für den Spielleiter,
hier noch einmal neue Spannung und Interesse zu wecken. Es
wird sich zeigen, ob ein solcher Verlauf des Spannungsbogens
bei den Spielern gut ankommt. Ich befürchte nicht.
Während im Abenteuer bislang nur die Spieler ständig
durch Vorgaben diverser "Bosse" gegängelt werden,
setzt sich dies nach dem Höhepunkt im Dark Tower nun
auch für die Person des Spielleiters fort: Das Abenteuer
geht fortan davon aus, daß die Charaktere unter allen
Umständen geheimhalten wollen, was sie in den Mountains
of Madness gesehen haben. Nur in wenigen Nebensätzen
wird erwähnt, daß es auch anders geht. Dabei halte
ich diese vorgegebene Lösung für recht naiv: Die
Charaktere haben doch selbst erlebt, daß nach der Miskatonic-Expedition,
die in der Geschichte von Lovecraft beschrieben wird, noch
weitere Expeditionen ausgeschickt wurden. Und wer die Menschheit
ein wenig kennt, der weiß auch um den menschlichen Forscherdrang.
Es wäre absurd zu glauben, daß niemals wieder jemand
in die Berge geht, nur wenn die Expedition der Charaktere
einen unverdächtigen Bericht abgibt, der das Erlebte
ausläßt. Vor allem, wo die Charaktere doch entdeckt
haben, daß die Zerstörung der Erde jeden Moment
erfolgen kann, wenn das Konstrukt der Elder Things versagt.
Das wäre etwa so, wie eine Zeitbombe einfach liegenzulassen
und zu ignorieren, anstatt sie zu entschärfen.
Und für besonders verwerflich halte ich es, daß
die Kampagne Spielleiter und Spielern einreden möchte,
damit die Wahrheit über die Mountains of Madness nicht
herauskomme, müßten alle Mitwisser ermordet werden!
Wie selbstverständlich wird noch freundlich empfohlen,
man solle doch ein Zelt mit zwei Leuten darin einfach anzünden,
das sei effektiver, als diese zu erschießen. Und die
Charaktere verlieren für diese Morde noch nicht einmal
STA, obwohl sie auf hunderten von Seiten zuvor bei jedem Blutstropfen
mehrere Punkte STA abgezogen bekommen haben. Das ist nicht
nur höchst merkwürdig, sondern schlichtweg abstoßend
und man wundert sich dann auch nicht weiter, daß in
den USA fröhlich die Todesstrafe praktiziert wird und
ausgeflippte Kinder mit befremdlichen Waffenarsenalen Massaker
veranstalten. Ich persönlich würde einem auf solche
Weise mordenden SC nicht nur kräftig STA abziehen, sondern
sogar so weit gehen zu sagen, daß jemand, der derart
menschenverachtend vorgeht, offensichtlich über 0 Punkte
STA verfügt, also als wahnsinnig anzusehen ist und folglich
nur noch als NSC zu führen ist.
"Witzigerweise" wird den Charakteren mit der Ermordung
der Mitwisser ein Verhalten empfohlen, daß sie bis zum
Finale im Dark Tower hin stets bekämpft haben: sie rutschen
quasi in die Rolle ihrer vor kurzem erst beseitigten Gegenspieler
hinein.
"Berge des Wahnsinns" ist wohl eine meiner Lieblingsgeschichten
von HPL, und so war ich besonders neugierig, welche weiteren
Geheimnisse dort in den Bergen nun wirklich noch zu finden
wären. Nur ein winziger Teil der riesigen Stadt wird
ja von Dyer und Danforth in der Erzählung erkundet. Von
daher war ich schon ziemlich enttäuscht, daß in
der Kampagne in der Stadt selbst kaum etwas Neues zu finden
ist. Immerhin haben die Autoren ja doch einen eigenen Hintergrund
erfunden, der dem Umfang der Kampagne in seiner Bedeutung
angemessen ist.
Allerdings gibt es hier einen wesentlichen Punkt, der nicht
dem Verständnis von Lovecraft entsprechen dürfte:
die Bedeutung der Menschheit wird deutlich überschätzt.
Es ist ja nun gerade eine zentrale Aussage des Mythos, daß
die Menschheit nur ein unbedeutender Witz ist gegen die kosmischen
Mächte, die sonst noch existieren. Und daß diese
kosmischen Mächte sich einen Dreck um die Menschen scheren,
ja sie oftmals gar nicht wahrnehmen. Aber hier in dieser Kampagne
ist der Schlüssel zu Kontrolle des Unknown God das menschliche
Gehirn. Damit wird dem Menschen ein Stellenwert eingeräumt,
der der lovecraftschen Tradition kaum angemessen ist. Das
kosmische Grauen wird meines Erachtens stark abgewertet dadurch,
daß hier dem Menschen eine zentrale Rolle zufallen soll.
Es ist halt einfach eine typische menschliche Schwäche,
die Wichtigkeit der eigenen Rasse zu hoch anzusetzen. Meiner
Meinung nach hätte die Kampagne deutlich gewonnen, wenn
sie sich auf ausschließlich fremdartiges, außerirdisches
Grauen verlassen hätte und nicht wieder auf eine den
Alien-Filmen ähnliche Materie zurückgegriffen hätte,
die wohl für publikumswirksamer gehalten wurde.
Abschließend darf ich trotz aller Kritikpunkte festhalten,
daß mir die Kampagne insgesamt gut gefallen hat. Der
Hintergrund ist ausgezeichnet recherchiert und präsentiert.
Es ist eine wirklich epische Kampagne geworden, deren Kauf
ich uneingeschränkt empfehlen kann, wenn man sich der
oben genannten Schwächen bewußt ist und sich überlegt,
wie man diese überspielen kann.
Frank Heller