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Nightmares of Mine

Beyond the Mountains of Madness
An Epic Campaign for Call of Cthulhu
Chaosium Inc., 1999

Nachtrag zu Rezension von Peter Schott,
von Frank Heller

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E

s ist vollbracht, auch ich habe die voluminöse Kampagne "Beyond the Mountains of Madness" gelesen. Dabei sind mir eine ganze Reihe von Punkten aufgefallen, die eine kritische Erwähnung finden sollten. Insoweit ist dieser Beitrag eine Ergänzung zur Rezension derselben Kampagne im Arkham Chronicle Nr. 8.

In der besagten Rezension von Peter Schott wurde, vielleicht mit Rücksicht auf die Zeichner, noch kein Wort über Karten und Bilder in der Kampagne verloren. Über diese kann man sich auch nur bedingt lobend äußern. Während die Zeichnungen von Paul Carrick durchaus zu gefallen wissen, da sie auf ihre verwaschene Art das Flair des Abenteuers an den richtigen Stellen unterstreichen können, gilt dies nicht in der gleichen Weise für die steril und schmucklos wirkenden Bilder von M. Wayne Miller. Aber immerhin kann man diesen noch chaosiumübliche Qualität attestieren.

Ganz finster sieht es aber mit den Karten zum Abenteuer aus, die von einem der Mitautoren des Mammut-Bandes erstellt wurden. Oder eher: skizziert und hingekritzelt wurden. Als wären sie einfach mal als Notizen auf einer langen Bahnfahrt erstellt worden und so bei Chaosium abgegeben worden. Zum Teil fast unbrauchbar, in jedem Fall aber derart mangelhaft, daß sie das im Abenteuertext beschriebene Flair gleich wieder zu zerstören verstehen. Besonders peinlich ist dies bei den vorkommenden Landkarten. Eine authentische Karte der Antarktis wäre hier den grob gezeichneten, unkenntlich klein beschrifteten, handgezeichneten (handskizzierten) Landkarten deutlich vorzuziehen gewesen. Ebenfalls unverständlich ist, warum sich niemand die Mühe gemacht hat, von Polarausrüstung und den vorkommenden Flugzeugen Fotografien zu besorgen. Von einem Schiff sind ja immerhin mal Fotos abgedruckt. Denn die Zeichnungen der Ausrüstung sind nicht nur schwach, sondern lösen z.B. im Fall der Darstellung der Polarkleidung prustende Lachkrämpfe hervor. Dazu werfe man einmal einen Blick auf S. 418. Peinlich. Zumal eigentlich nicht einsichtig wird, warum keine Fotografien herangezogen wurden. Denn die Autoren haben ihre Kampagne gründlich recherchiert und massenhaft Quellenliteratur benutzt - Literatur, die sicherlich auch passende Fotografien anzubieten hatte. Und Fotos könnten gegenüber den zum Teil fehlerhaften Zeichnungen der Flugzeuge (z.B. wird die Ju 52 mit schief montierten Motoren dargestellt - so ein Quatsch!) neben zeitgenössischem Aussehen der Maschinen auch noch die Größe des Flugzeugs besser vermitteln. Mir ist übrigens auch nicht einsichtig, warum mit einer Ju 52 im Abenteuer angeblich nur 6-8 Personen (incl. Pilot und Kopilot) befördert werden können.

Den Spielern sollte man tunlichst keine der Karten als Kopie vorlegen, sonst könnte die mühsam am Spieltisch erarbeitete Atmosphäre im Nu hinüber sein. Falls ein Spielleiter sich die Mühe gemacht hat, eigene, schönere Karten zu der Kampagne zu zeichnen, möge er sich bitte an Ingo wenden. Vielleicht kann man sie dann in einem der nächsten Chronicles einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen.

Aber auch zum Inhaltlichen der Kampagne sind einige kritische Anmerkungen angebracht. Wer die Kampagne noch als Spieler in vollen Zügen genießen will, sollte an dieser Stelle nicht weiterlesen, auch wenn keine allzu intimen Details des Abenteuers verraten werden sollen.

Rollenspieler mögen es im allgemeinen nicht besonders gerne, wenn sie "an der Hand genommen werden" und von einem "Boss" durch das Abenteuer geführt werden. Doch genau das ist über weite Strecken der Kampagne der Fall: Ständig erhalten die Charaktere Anweisungen, was sie zu tun und zu lassen haben. Die Entscheidungsfreiheit der Spieler ist in etwa so groß wie bei einem Soloabenteuer (entweder Abschnitt 24 oder Abschnitt 46...). Daß die Spieler eigentlich nichts machen können, wird durch regelmäßige Orgien der verschiedensten Eigenschaftsproben kaschiert. Sicherlich ganz nett, aber kein Ersatz für eigene Entscheidungsfreiheit. Immerhin sind die Spieler im zentralen Teil des Abenteuers, dem "Finale", wenn man es so nennen mag, ihr eigener Herr. Alles andere wäre wohl auch wirklich unerträglich gewesen. Wer besonders freiheitsliebende Spieler hat, der sollte sich überlegen, ob er die Kampagne in der vorliegenden Weise präsentieren will.

Nach der Lektüre der Kampagne stellt sich ferner die Frage, ob ein solcher Wälzer wirklich nötig gewesen wäre. Gerade in der Antarktis gibt es seitenlange Passagen, in denen nur in gebetsmühlenhafter Wiederholung das Flair der Gegend beschrieben wird. Oder langatmige Beschreibungen, wie sich diverse NSCs untereinander unterhalten. Besser zu lang als zu kurz, würde ich sagen, aber man hätte sich bestimmt 50 Seiten sparen können.

Die Autoren haben außerdem wohl derart viele Bücher über Antarktisexpeditionen gelesen, daß sie der Meinung waren, ihr Wissen nun auch komplett im Abenteuer umsetzen zu müssen. Resultat ist eine manchmal übertriebene Detailverliebtheit, die den Spielfluß verlangsamt und vermutlich irgendwann die Spieler zu nerven beginnt. Wiederum ist aber zuzugeben: lieber zu viel als zu wenig, kürzen kann man als Spielleiter immer noch.

Schwer enttäuscht war ich von dem Teil über die Erforschung der Stadt der Elder Things. Denn hier haben die Autoren nicht gewagt, über die Erzählung "Mountains of Madness" hinauszugehen. Wer die Geschichte kennt, dem bietet sich hier fast nichts Neues. Die dort vorkommenden Örtlichkeiten werden beschrieben, und dazu nur noch eine Handvoll mehr, allesamt mäßig originell. Bei einer Stadt von 30 Meilen mal 200 Meilen Größe wirklich schwach, fast nur Altbekanntes zu präsentieren. Auch die Wandverzierungen in den Gebäuden geben keine über die in der Geschichte beschriebenen Informationen hinausgehenden Auskünfte über die Elder Things. Hier bleibt es dann wohl am Spielleiter hängen, sich noch originelle Funde zu überlegen. Etwas schade, wenn es bei einer solchen Megakampagne noch Lücken zu schließen gibt.

Offenbar sind die Autoren große Freunde von hohen STA-Verlusten. Ich habe tatsächlich schon von Spielrunden gehört, in denen es für jede Nichtigkeit brutale Abzüge an STA gibt, nur weil der Spielleiter es besonders amüsant findet, wenn die Charaktere ständig wahnsinnig sind. Oder weil er sich "Taint of Madness" gekauft hat und das Buch nun auch benutzen will...

Jedenfalls gehen die Verluste an STA über ein vernünftiges Maß deutlich hinaus und widersprechen zum Teil auch Angaben im Grundregelwerk: Für noch nicht ausgewachsene Elder Things (den "Kindergarten") verliert man 1W3/1W6+1 STA, aber für die erwachsenen Wesen regelgetreu nur 0/1W6. Das ist kaum haltbar. Und für den Unknown God bekommt man gar 2W10/1W100 STA abgezogen, mehr als man verliert, falls man dem Dämonensultan Azathoth über den Weg läuft (dort sind es 1W10/1W100). Und noch viele weitere Beispiele über das Abenteuer verstreut verlangen übertrieben hohe Abzüge.

Eine ganz wichtige Frage wird in der Kampagne überhaupt nicht angesprochen: was passiert eigentlich, wenn ein Charakter stirbt? Und das, obwohl so etwas nicht nur zufällig vorkommen kann, sondern nach etwa 4/5 des Abenteuers sogar eingeplant ist. Normalerweise kann ein neuer SC ohne Probleme eingeführt werden, aber wo soll ein solcher in der Antarktis herkommen? Lösung kann nur sein, die Spieler jeweils zwei Charaktere führen zu lassen, damit im Todesfall noch ein Ersatzmann da ist. Nicht jede Spielrunde wird damit aber glücklich sein. Oder man macht kurzerhand einen NSC zum SC, was aber dadurch etwas erschwert wird, daß die NSCs und ihre Handlungsweise in der Kampagne ständig vorgegeben sind. Vermutlich war man sich der Schwierigkeit des Problems bewußt und hat es deshalb lieber gleich unter den Tisch fallen lassen.

Während ein normales Abenteuer mit dem Finale in der Regel seine Klimax erreicht und dann ausklingt, haben die Autoren dieser Kampagne einen, sagen wir, "ungewöhnlichen" Weg beschritten: Auf S. 234 ist der Höhepunkt erreicht. Doch wir erinnern uns: der Band hat 438 Seiten! Zugegebenermaßen geht der pure Abenteuertext ohne Anhänge nur bis S. 285, aber auf 51 Seiten findet man in anderen Publikationen von Chaosium ja immerhin auch 2-3 eigenständige Abenteuer. Und statt die Kampagne ausklingen zu lassen, folgen nach der Klimax noch weitere Episoden. Schwierig für den Spielleiter, hier noch einmal neue Spannung und Interesse zu wecken. Es wird sich zeigen, ob ein solcher Verlauf des Spannungsbogens bei den Spielern gut ankommt. Ich befürchte nicht.

Während im Abenteuer bislang nur die Spieler ständig durch Vorgaben diverser "Bosse" gegängelt werden, setzt sich dies nach dem Höhepunkt im Dark Tower nun auch für die Person des Spielleiters fort: Das Abenteuer geht fortan davon aus, daß die Charaktere unter allen Umständen geheimhalten wollen, was sie in den Mountains of Madness gesehen haben. Nur in wenigen Nebensätzen wird erwähnt, daß es auch anders geht. Dabei halte ich diese vorgegebene Lösung für recht naiv: Die Charaktere haben doch selbst erlebt, daß nach der Miskatonic-Expedition, die in der Geschichte von Lovecraft beschrieben wird, noch weitere Expeditionen ausgeschickt wurden. Und wer die Menschheit ein wenig kennt, der weiß auch um den menschlichen Forscherdrang. Es wäre absurd zu glauben, daß niemals wieder jemand in die Berge geht, nur wenn die Expedition der Charaktere einen unverdächtigen Bericht abgibt, der das Erlebte ausläßt. Vor allem, wo die Charaktere doch entdeckt haben, daß die Zerstörung der Erde jeden Moment erfolgen kann, wenn das Konstrukt der Elder Things versagt. Das wäre etwa so, wie eine Zeitbombe einfach liegenzulassen und zu ignorieren, anstatt sie zu entschärfen.

Und für besonders verwerflich halte ich es, daß die Kampagne Spielleiter und Spielern einreden möchte, damit die Wahrheit über die Mountains of Madness nicht herauskomme, müßten alle Mitwisser ermordet werden! Wie selbstverständlich wird noch freundlich empfohlen, man solle doch ein Zelt mit zwei Leuten darin einfach anzünden, das sei effektiver, als diese zu erschießen. Und die Charaktere verlieren für diese Morde noch nicht einmal STA, obwohl sie auf hunderten von Seiten zuvor bei jedem Blutstropfen mehrere Punkte STA abgezogen bekommen haben. Das ist nicht nur höchst merkwürdig, sondern schlichtweg abstoßend und man wundert sich dann auch nicht weiter, daß in den USA fröhlich die Todesstrafe praktiziert wird und ausgeflippte Kinder mit befremdlichen Waffenarsenalen Massaker veranstalten. Ich persönlich würde einem auf solche Weise mordenden SC nicht nur kräftig STA abziehen, sondern sogar so weit gehen zu sagen, daß jemand, der derart menschenverachtend vorgeht, offensichtlich über 0 Punkte STA verfügt, also als wahnsinnig anzusehen ist und folglich nur noch als NSC zu führen ist.

"Witzigerweise" wird den Charakteren mit der Ermordung der Mitwisser ein Verhalten empfohlen, daß sie bis zum Finale im Dark Tower hin stets bekämpft haben: sie rutschen quasi in die Rolle ihrer vor kurzem erst beseitigten Gegenspieler hinein.

"Berge des Wahnsinns" ist wohl eine meiner Lieblingsgeschichten von HPL, und so war ich besonders neugierig, welche weiteren Geheimnisse dort in den Bergen nun wirklich noch zu finden wären. Nur ein winziger Teil der riesigen Stadt wird ja von Dyer und Danforth in der Erzählung erkundet. Von daher war ich schon ziemlich enttäuscht, daß in der Kampagne in der Stadt selbst kaum etwas Neues zu finden ist. Immerhin haben die Autoren ja doch einen eigenen Hintergrund erfunden, der dem Umfang der Kampagne in seiner Bedeutung angemessen ist.

Allerdings gibt es hier einen wesentlichen Punkt, der nicht dem Verständnis von Lovecraft entsprechen dürfte: die Bedeutung der Menschheit wird deutlich überschätzt. Es ist ja nun gerade eine zentrale Aussage des Mythos, daß die Menschheit nur ein unbedeutender Witz ist gegen die kosmischen Mächte, die sonst noch existieren. Und daß diese kosmischen Mächte sich einen Dreck um die Menschen scheren, ja sie oftmals gar nicht wahrnehmen. Aber hier in dieser Kampagne ist der Schlüssel zu Kontrolle des Unknown God das menschliche Gehirn. Damit wird dem Menschen ein Stellenwert eingeräumt, der der lovecraftschen Tradition kaum angemessen ist. Das kosmische Grauen wird meines Erachtens stark abgewertet dadurch, daß hier dem Menschen eine zentrale Rolle zufallen soll. Es ist halt einfach eine typische menschliche Schwäche, die Wichtigkeit der eigenen Rasse zu hoch anzusetzen. Meiner Meinung nach hätte die Kampagne deutlich gewonnen, wenn sie sich auf ausschließlich fremdartiges, außerirdisches Grauen verlassen hätte und nicht wieder auf eine den Alien-Filmen ähnliche Materie zurückgegriffen hätte, die wohl für publikumswirksamer gehalten wurde.

Abschließend darf ich trotz aller Kritikpunkte festhalten, daß mir die Kampagne insgesamt gut gefallen hat. Der Hintergrund ist ausgezeichnet recherchiert und präsentiert. Es ist eine wirklich epische Kampagne geworden, deren Kauf ich uneingeschränkt empfehlen kann, wenn man sich der oben genannten Schwächen bewußt ist und sich überlegt, wie man diese überspielen kann.

Frank Heller

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