ange hat's gedauert und fett ist es geworden - seit Ende Februar ist endlich "Amerika: In Städten und Wäldern" zu haben! Was lange währt, wird endlich gut, heißt es so schön, aber stimmt das auch? Schauen wir's uns mal näher an... Der Band erschlägt und beeindruckt zunächst
schon mal mit reiner Masse: die knapp 190 Seiten sind mit kleinster
noch lesbarer Schrift prall gefüllt, zwischen dem Text finden sich
auch noch reichlich reproduzierte Fotos und die eine oder andere Illustration.
Das 1. Kapitel "Die wilden Zwanziger" bietet einen informativen Abriß über diese Zeit, gesellschaftlich wie politisch. Dazu gehört eine Chronologie besonderer Ereignisse mit historischer Bedeutung. Im 2. Kapitel, das weitgehend neu verfasst wurde, erfährt
der Leser "Von Menschen und Dingen in großen
und kleinen Städten", teilweise aus erster Hand, nämlich
von drei Zeitzeugen - einem deutschen Amerikafahrer,
russischen Literaten und einem rasenden Reporter, ebenfalls aus Deutschland.
An geeigneter Stelle im Text oder in separaten Info-Boxen geben sie
ganz persönliche Kommentare und Erfahrungen zu bestimmten Dingen
wieder, z. B. dem Hotel, amerikanischen Sitten usw. "Was alles einen Spielercharakter ausmacht" erfahren wir in Kapitel 3, in Form von Anregungen für die Gestaltung des Hintergrunds eines Charakters und Unmengen von neuen Berufen, mitsamt Beschreibungen, Fertigkeiten und manchmal sogar historischen Vorbildern. Wichtig zu wissen - "Was man
wann wo bekommt und wie mans benutzt" (Kapitel 4). Hier
wird eine neue Fertigkeit eingeführt, "Recherche",
eine Art Zusammenfassung mehrerer anderer Fertigkeiten. In meinen Augen
völlig sinnlos und ohne Existenzberechtigung, kann man also weglassen.
Aber wir finden hier auch Quellen für Recherchen und Nachforschungen,
z. B. Archive, öffentliche Einrichtungen, Zeitungen, Bibliotheken,
Museen usw. - eine umfangreiche Sammlung entsprechender Möglichkeiten! Das 5. und letzte Kapitel widmet sich den detektivischen Aspekten der 1920er. Wie wurde man damals Detektiv, wie ging man vor, was brauchte man, worauf war zu achten? Wie war die Polizei strukturiert, welche Behörden gab es, wie arbeiteten sie zusammen, wie liefen Ermittlungen ab? Kaum eine Frage bleibt hier ungeklärt, und wer es ganz genau wissen will, kann noch dem Leichenbeschauer bei der Arbeit über die Schulter gucken. Und am Schluß findet sich für eine große Auswahl an Mythos-Monstern jeweils eine Beschreibung, wie die von diesen zugerichteten Opfer aussehen können, sehr bildhaft und unterhaltsam dargestellt... Soviel zum Inhalt - wie versprochen nicht gerade wenig!
In der Tat sind es ungeheuer viele Informationen, aus verschiedensten
Quellen, die hier kompiliert und zusammengeführt wurden. Dennoch
wirkt das ganze wie aus einem Guß
und ist unterhaltsam zu lesen. Die Informationen
an sich sind sowohl für Spieler wie für Spielleiter interessant,
ohne ersteren zuviel zu verraten. Da gibt es nämlich nicht allzuviel,
denn dieser Quellenband befasst sich schließlich mit den 1920ern
in Amerika - es finden sich kaum verräterische
Informationen über den Mythos, abgesehen von den Arkham-
und Dunwich-Beschreibungen und den Todesarten. Beide Seiten erhalten
eine enorme Fülle an Details, mit denen das Spiel und die Charaktere
ausgeschmückt und ausgestaltet werden können. Die neuen Texte sind unterhaltsam, wenn man das sehr angenehme Konzept der drei "Augenzeugen", wie eingangs beschrieben, noch besser hätte einsetzen können. Es bringt dem ganzen etwas Menschliches mit, bietet unterschiedliche Sichtweisen auf dieselbe Sache und ist damit höchst originell - mehr davon! Das eine oder andere Mal wird der Leser vielleicht den
Kopf schütteln - wofür soll die neue Fertigkeit "Recherche"
gut sein? Soll das Fertigkeitensystem vielleicht später auf ganze
zwei Fertigkeiten reduziert werden, sagen wir mal, "Kämpfen"
und "Wissen-und-Recherche"? Nur, um Zeit beim Würfeln
zu sparen? Was immer sich Wolfgang dabei gedacht hat, nee, nicht mit
mir... Inhaltlich gibt es grundsätzlich aber wenig ernsthaftes zu meckern und zu beschweren - wer Informationen über die 1920er in Amerika will, bekommt sie hier erschöpfend serviert. Wie sieht es von der technischen Umsetzung her aus? Die Umschlaggestaltung des Paperbacks (leider kein Hardcover...) entspricht dem mit dem Regelwerk und "Wales" begründeten Corporate Design. Sieht also hübsch aus, und der Untertitel auf dem Cover ist genauso unleserlich wie bei Wales - naja, dafür steht der Name des Autors, Wolfgang Schiemichen, gleich zweimal auf dem Titel :-) Doppelt hält besser! Die Fotos im Inneren wirken wie abfotokopiert. Hätte man sicher besser reproduzieren können, aber es geht noch. Die Auswahl ist zudem recht groß - leider gibt es aber keine neuen Illustrationen! Ich persönlich hätte mir gewünscht, das Pegasus neben Fotos die eine oder andere neue Illustration bringt, oder gibt es keine guten deutschen Zeichner? Hätte das ganze noch etwas aufgelockert, wobei es bei einem reinen "Fakten-Band" natürlich schwer ist, atmosphärische Illustrationen zu schaffen (Szenen mit Monstern wäre ja fehl am Platze). Die Übersetzung wirkt
manchmal recht holprig, was schon mal unbeabsichtigten Unterhaltungswert
haben kann, genauso die leider häufigen Druckfehler.
Eine Folge des Zeitdrucks? Schade! Wie lautet nun mein Fazit
- ganz klar: KAUFEN!
Zu dem Preis bekommt man sonst in keinem anderen Rollenspiel eine solche
unglaubliche Menge an authentischen Informatioen präsentiert, dazu
noch in derart hübscher Verpackung (sowohl visuell wie textuell).
Wolfgang Schiemichen und die anderen Beteiligten
haben sich eine unglaubliche Mühe mit diesem Band gemacht und dem
Leser damit ein einziges, großes Kompendium in die Hand gegeben,
das ihm vieles an eigener Arbeit abnimmt und neue Anregungen liefert.
Klar sein muß dem Käufer aber, das er keine fertigen oder
auch nur halb-fertigen Abenteuerideen darin finden wird - es geht nur
am Rande um den Mythos, sondern fast ausschließlich um das Leben
und die Gesellschaft der 1920er Jahre. Aber ist es nicht genau das,
was viele immer gesucht haben? Genau! Nachtrag: Wolfgang
Schiemichen bat mich noch auf folgendes hinzuweisen: Ingo Ahrens Meinungen
zur Rezension? Ab ins Forum! |
|||||