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Wolfgang Schiemichen
Amerika: In Städten und Wäldern
Pegaus Spiele, Friedberg, 2001
188 Seiten, ca. 50 DM
ISBN 3-930635-19-4
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L

ange hat's gedauert und fett ist es geworden - seit Ende Februar ist endlich "Amerika: In Städten und Wäldern" zu haben! Was lange währt, wird endlich gut, heißt es so schön, aber stimmt das auch? Schauen wir's uns mal näher an...

Der Band erschlägt und beeindruckt zunächst schon mal mit reiner Masse: die knapp 190 Seiten sind mit kleinster noch lesbarer Schrift prall gefüllt, zwischen dem Text finden sich auch noch reichlich reproduzierte Fotos und die eine oder andere Illustration.
Gefüllt wurden diese Seiten mit Material aus verschiedenen Publikationen von Chaosium (z. B. Investigators Companion, Cthulhu Casebook) und dem Pagan Publishing-Magazin "Unspeakable Oath". Hinzugekommen ist aber noch einiges Neues, und Pegasus hat es auch nicht beim reinen Übersetzen gelassen. Vielmehr wurden die einzelnen Artikel inhaltlich überarbeitet und ergänzt.

Das 1. Kapitel "Die wilden Zwanziger" bietet einen informativen Abriß über diese Zeit, gesellschaftlich wie politisch. Dazu gehört eine Chronologie besonderer Ereignisse mit historischer Bedeutung.

Im 2. Kapitel, das weitgehend neu verfasst wurde, erfährt der Leser "Von Menschen und Dingen in großen und kleinen Städten", teilweise aus erster Hand, nämlich von drei Zeitzeugen - einem deutschen Amerikafahrer, russischen Literaten und einem rasenden Reporter, ebenfalls aus Deutschland. An geeigneter Stelle im Text oder in separaten Info-Boxen geben sie ganz persönliche Kommentare und Erfahrungen zu bestimmten Dingen wieder, z. B. dem Hotel, amerikanischen Sitten usw.
Es wird sehr speziell auf New York eingegangen, dem Leben in dieser Stadt und bekommt sogar ein volles 7-Tage-Besichtigungsprogramm vorgeschlagen.
Auch Chicago, Zentrum der Prohibitions-Kriminalität, wird separat gewürdigt, wenn auch nicht so ausführlich. Von den großen Metropolen geht es dann in die Provinz, wo man teilweise ganz anders dachte und auf die Dinge blickte.
Dem Arkham-Quellenband von Chaosium ist ein weiterer großer Abschnitt entnommen, in dem über ebendiese fiktive Stadt ausführlichst informiert wird. Geschichte, Umgebung, öffentliches Leben, Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten, Personen, Gesellschaften, Klubs - so ziemlich alles was man braucht, um den Spielleiter die Stadt lebendig darstellen zu lassen, wird hier besprochen.
Gleiches gilt für Dunwich (entnommen aus "Return to Dunwich" von Chaosium), ebenfalls eine wichtige Stadt in "Lovecraft Country".

"Was alles einen Spielercharakter ausmacht" erfahren wir in Kapitel 3, in Form von Anregungen für die Gestaltung des Hintergrunds eines Charakters und Unmengen von neuen Berufen, mitsamt Beschreibungen, Fertigkeiten und manchmal sogar historischen Vorbildern.

Wichtig zu wissen - "Was man wann wo bekommt und wie mans benutzt" (Kapitel 4). Hier wird eine neue Fertigkeit eingeführt, "Recherche", eine Art Zusammenfassung mehrerer anderer Fertigkeiten. In meinen Augen völlig sinnlos und ohne Existenzberechtigung, kann man also weglassen. Aber wir finden hier auch Quellen für Recherchen und Nachforschungen, z. B. Archive, öffentliche Einrichtungen, Zeitungen, Bibliotheken, Museen usw. - eine umfangreiche Sammlung entsprechender Möglichkeiten!
Da sich all diese Dinge aber nicht immer unbedingt in der gleichen Stadt wie man selbst befinden, muß man da irgendwie hinkommen - kein Problem, denn auch über Transportmittel und -wege dieser Zeit in Amerika informiert uns ein ausführlicher Abschnitt.
Waffen und Ausrüstung sind ebenfalls Thema - wo bekommt man sie, legal oder auf dem Schwarzmarkt, was kosten sie usw.

Das 5. und letzte Kapitel widmet sich den detektivischen Aspekten der 1920er. Wie wurde man damals Detektiv, wie ging man vor, was brauchte man, worauf war zu achten? Wie war die Polizei strukturiert, welche Behörden gab es, wie arbeiteten sie zusammen, wie liefen Ermittlungen ab? Kaum eine Frage bleibt hier ungeklärt, und wer es ganz genau wissen will, kann noch dem Leichenbeschauer bei der Arbeit über die Schulter gucken. Und am Schluß findet sich für eine große Auswahl an Mythos-Monstern jeweils eine Beschreibung, wie die von diesen zugerichteten Opfer aussehen können, sehr bildhaft und unterhaltsam dargestellt...

Soviel zum Inhalt - wie versprochen nicht gerade wenig! In der Tat sind es ungeheuer viele Informationen, aus verschiedensten Quellen, die hier kompiliert und zusammengeführt wurden. Dennoch wirkt das ganze wie aus einem Guß und ist unterhaltsam zu lesen. Die Informationen an sich sind sowohl für Spieler wie für Spielleiter interessant, ohne ersteren zuviel zu verraten. Da gibt es nämlich nicht allzuviel, denn dieser Quellenband befasst sich schließlich mit den 1920ern in Amerika - es finden sich kaum verräterische Informationen über den Mythos, abgesehen von den Arkham- und Dunwich-Beschreibungen und den Todesarten. Beide Seiten erhalten eine enorme Fülle an Details, mit denen das Spiel und die Charaktere ausgeschmückt und ausgestaltet werden können.
Sehr positiv ist dabei, das sich kaum langweilige Tabellen mit trockenen Daten finden. Fast alles wird ausführlich in Textform beschrieben, bevor z. B. die Statistiken der Waffen der Übersicht halber in Tabellen aufgeführt werden. Das nimmt dem ganzen allerdings ein wenig die Form eines Nachschlagewerks, was durch das Fehlen eines Index oder Stichwortverzeichnisses und gar eines ausführlichen Inhaltsverzeichnisses noch erschwert wird. So blättert man manches Mal im Spiel sicher hilflos umher, nach der Information suchend, die man ganz gewiß mal irgendwo hier drin gelesen hat - nur wo? Gleiches gilt für eine Liste der neuen Berufe - sie fehlt schlichtweg! Hier hat aber Frank Heller dankenswerterweise schon Abhilfe geschaffen und einen Index erstellt, den es hier zum downloaden gibt (PDF).

Die neuen Texte sind unterhaltsam, wenn man das sehr angenehme Konzept der drei "Augenzeugen", wie eingangs beschrieben, noch besser hätte einsetzen können. Es bringt dem ganzen etwas Menschliches mit, bietet unterschiedliche Sichtweisen auf dieselbe Sache und ist damit höchst originell - mehr davon!

Das eine oder andere Mal wird der Leser vielleicht den Kopf schütteln - wofür soll die neue Fertigkeit "Recherche" gut sein? Soll das Fertigkeitensystem vielleicht später auf ganze zwei Fertigkeiten reduziert werden, sagen wir mal, "Kämpfen" und "Wissen-und-Recherche"? Nur, um Zeit beim Würfeln zu sparen? Was immer sich Wolfgang dabei gedacht hat, nee, nicht mit mir...
Gleiches gilt für die die Angabe des Kalibers bei den Waffen. Es heißt jetzt nicht mehr "Hey Mister, spuck's aus, sonst wird dir meine .45er ein hübsches Loch...", sondern "sonst wird dir meine 11,43 Millimeter..." - richtig, die Kaliber-Angaben finden sich ausschließlich in mm angegeben. Weil sich angeblich viele Leser unter den herkömmlichen Angaben nichts vorstellen können. Klar, in Actionfilmen, Krimiserien, Romanen usw. wird auch immer in Millimetern gesprochen, gelle? Naja, ich weiß nicht, ein wenig übers Ziel hinausgeschossen, würde ich sagen. Letztlich aber unerheblich.

Inhaltlich gibt es grundsätzlich aber wenig ernsthaftes zu meckern und zu beschweren - wer Informationen über die 1920er in Amerika will, bekommt sie hier erschöpfend serviert. Wie sieht es von der technischen Umsetzung her aus?

Die Umschlaggestaltung des Paperbacks (leider kein Hardcover...) entspricht dem mit dem Regelwerk und "Wales" begründeten Corporate Design. Sieht also hübsch aus, und der Untertitel auf dem Cover ist genauso unleserlich wie bei Wales - naja, dafür steht der Name des Autors, Wolfgang Schiemichen, gleich zweimal auf dem Titel :-) Doppelt hält besser!

Die Fotos im Inneren wirken wie abfotokopiert. Hätte man sicher besser reproduzieren können, aber es geht noch. Die Auswahl ist zudem recht groß - leider gibt es aber keine neuen Illustrationen! Ich persönlich hätte mir gewünscht, das Pegasus neben Fotos die eine oder andere neue Illustration bringt, oder gibt es keine guten deutschen Zeichner? Hätte das ganze noch etwas aufgelockert, wobei es bei einem reinen "Fakten-Band" natürlich schwer ist, atmosphärische Illustrationen zu schaffen (Szenen mit Monstern wäre ja fehl am Platze).

Die Übersetzung wirkt manchmal recht holprig, was schon mal unbeabsichtigten Unterhaltungswert haben kann, genauso die leider häufigen Druckfehler. Eine Folge des Zeitdrucks? Schade!
Vermissen muß man, möglicherweise aus demselben Grund, ein genaues Quellenverzeichnis, schließlich wurden neben den verschiedenen Originalpublikationen auch historische Reiseführer etc. verwendet. Wäre schon interessant gewesen...

Wie lautet nun mein Fazit - ganz klar: KAUFEN! Zu dem Preis bekommt man sonst in keinem anderen Rollenspiel eine solche unglaubliche Menge an authentischen Informatioen präsentiert, dazu noch in derart hübscher Verpackung (sowohl visuell wie textuell). Wolfgang Schiemichen und die anderen Beteiligten haben sich eine unglaubliche Mühe mit diesem Band gemacht und dem Leser damit ein einziges, großes Kompendium in die Hand gegeben, das ihm vieles an eigener Arbeit abnimmt und neue Anregungen liefert. Klar sein muß dem Käufer aber, das er keine fertigen oder auch nur halb-fertigen Abenteuerideen darin finden wird - es geht nur am Rande um den Mythos, sondern fast ausschließlich um das Leben und die Gesellschaft der 1920er Jahre. Aber ist es nicht genau das, was viele immer gesucht haben? Genau!
Es gibt wahrlich keine Ausrede, auf einen Kauf zu verzichten, denn auch, wer die englischen Originalausgaben der hierfür verwerteten Supplements besitzt, wird genügend neue Informationen finden - und hat alles in einem einzigen Band!
Einzige, echte Bauchschmerzen macht das fehlende Stichwortverzeichnis - darauf sollte Pegasus in späteren Veröffentlichungen unbedingt achten, der Übersicht halber. Für den Moment kann man damit aber sehr gut leben, denn eines ist klar: "Amerika: In Städten und Wäldern" ist nicht nur in Sachen "deutsches CTHULHU" ein neuer Meilenstein, sondern legt in seiner Qualität neue Maßstäbe für ALLE Systeme. Hoffen wir, das sich Pegasus damit nicht selbst die Latte zu hoch gelegt hat, und das die zu erwartenden Publikation (In Labyrinthen, Berlin-Quellenband, In Nyarlathoteps Schatten...) den hohen Standard erhalten können. Weiter so!

Nachtrag: Wolfgang Schiemichen bat mich noch auf folgendes hinzuweisen:
"Was wäre Pegasus ohne Verspätungen und dumme Fehler? In diesem Falle ist im Amerikaband das Impressum fehlerhaft. Der Artikel über Waffen stammt nämlich nicht von mir, sondern von Hans Christian Vorti, dem Lektor. Der hat den Originalartikel zwar meinen Direktiven gemäss überarbeitet - was heisst, an das althergebrachte System angepasst und auf amerikanische Waffen beschränkt - dennoch stammt die Übersetzung und Überarbeitung , vor allem aber die Bebilderung, von ihm.

Außerdem gibt es in einem neuen Werkstattbericht endlich die fehlenden Quellenangaben. Die Kritikpunkte an diesem Band schrumpfen also immer weiter :)

Ingo Ahrens

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