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Wolfgang Schiemichen,
Jan-Christoph Steines u. a.
Berlin - Im Herzen der grossen Stadt
Quellenband für H. P. Lovecrafts CTHULHU
Pegasus-Verlag, 192 Seiten SC
25,80 Euro
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B

erlin - Im Herzen der grossen Stadt" ist der erste Band einer Reihe von Publikation aus dem Hause Pegasus, dem hiesigen Heim für Cthulhu, die sich speziell mit Quelleninformationen und Abenteuern im Deutschland der 1920er Jahre befassen.
Der Band folgt dem von "In Labyrinthen" vertrauten Schema: Zwei (langen) Abenteuern werden einige Seiten mit Quelleninformationen, in diesem Fall über das Berlin in den 1920ern, vorangestellt. Dieser Artikel ist sehr aufschlussreich und für einen Spielleiter, der seine Kampagne dort ansiedelt, überaus hilfreich - nur leider etwas kurz. Hier hätte ich mir schon etwas mehr gewünscht.

"Der Tanzende Faun", das von Wolfgang Schiemichen beigesteuerte Abenteuer, fügt diesen Infos (übrigens ebenfalls von Wolfgang) allerdings noch eine Menge weitere zu, und das auf, vorab gesagt, unterhaltsame Weise. "Faun" ist ein leicht frivol angehauchtes Abenteuer, das die Spieler ein wenig von der Verruchtheit der Stadt zu dieser Zeit schnuppern lässt. Einer von ihnen, oder gar mehrere, verlieben sich unsterblich in die faszinierende Nachtclubtänzerin Thea Liebreich - und erlebt ein böses Erwachen, wenn er eines Morgens nach geglückter Eroberung neben einer Toten liegt, offensichtlich von ihm selbst ermordet. Die Flucht vor der Polizei, Kriminellen, einem wahnsinnigen Attentäter, der sie für Kultisten hält, und Kultisten selbst führt sie schließlich nach Italien. Dort kommen sie dahinter, wer Thea Liebreich wirklich war - etwas ganz und gar nicht menschliches, und beim Finale haben sie nicht unbedeutende Entscheidungen zu treffen...
Wolfgang schreibt hier einen gewöhnungsbedürftigen, leicht umständlichen, aber sehr unterhaltsamen Stil. Unter diesem allerdings leidet die Übersicht, zum Nachteil des Spielleiters, der beim Nachschlagen von Informationen das eine oder andere Mal recht hilflos blättern wird und sich im atmosphärischen Schreibstil verliert.
Das Abenteuer selbst ist originell und anspruchsvoll, keinesfalls hastig heruntergeschriebene Massenware, sondern mit vielen Wendungen, interessanten Nichtspielercharakteren (von denen das Abenteuer hauptsächlich lebt) und einer Menge Interaktion. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, das die Detailtreue bei den puren Informationen (Spieler wollen bekanntlich immer alles ganz genau wissen) zu wünschen übrig lässt. Auch wirkt das Kapitel in Turin am Ende etwas aufgesetzt und gewollt; in meiner Gruppe würde ich es weglassen oder so verändern, das diese Ereignisse in Berlin oder zumindest Deutschland spielen.
Fazit: Schwierig, aber unterhaltsam zu lesen, originell - aber sehr vorbereitungsintensiv durch die notwendige Aufbereitung (Herausschreiben) der Informationen und ggf. Ergänzung derselben. Sehr gute Einbindung des Geschehens in die damalige Zeit, viel Raum für Rollenspiel!

"Jahrhundertsommer" stammt von Jan-Christoph Steines und hat selbst eine längere Entstehungsgeschichte, die bis in die alten Laurin-Zeiten zurückreicht. Die dadurch für Überarbeitungen zur Verfügung stehende Zeit wurde augenscheinlich sehr gut genutzt.
Der "Jahrhundertsommer" des Jahres 1926 bescherte Berlin wahrhaft höllische Temperaturen, unter denen auch die Charaktere auf ihrer Suche nach Valeska Loeschke zu leiden haben, einer verschwundenen jungen Immobilienmaklerin, angestellt bei der Agentur eines Freundes. Die Recherchen decken schließlich auf, das der "Entführer" ihr im Grunde nichts Böses will, sie vielmehr von ihren wirklich finsteren Verfolgern in Sicherheit bringen wollte, Anhängern des Grossen Alten Swarog. Die Verwicklungen reichen zurück bis nach 1900 zur Geburt Valeskas, die unter ganz besonderen Umständen erfolgte, an einem ganz besonderen Ort. Die Spieler führen die Ereignisse dann an die Ostsee, wo es den Plan der Kultisten zu vereiteln, und Valeskas Leben zu retten gilt...
Ein klassisches Recherche-Abenteuer, in dem es viel nachzuforschen und aufzudecken gilt. Trotz der Länge wird dieses Abenteuer, entgegen meiner ersten Befürchtung, jedoch keineswegs unübersichtlich. Dies liegt zum einen an der lobenswerten inhaltlich nach Themen geordneten Übersicht mit Seitenzahlen was sich wo finden lässt. Zum anderen schreibt der Autor sehr klar und verständlich, sehr sachlich, ohne auf augenzwinkernden Humor hier und da zu verzichten. Viele Abschnitte/Kapitel enden mit einem Absatz "Was geschehen ist" o.ä., in dem die Geschehnisse an einem Tatort oder einer Szenerie VOR dem Eintreffen der Charaktere beschrieben werden. Diese Informationen werden in der Regel kaum den Spielern bekannt werden, handelt es sich meist um Aktionen der beteiligten Nichtspielercharaktere, des Entführers und der Kultisten. Eine Beschreibung derselben hilft dem Spielleiter aber ungemein beim Verständnis der Abläufe und Hintergründe! Auch wenn dem einen oder anderen Jans Schreibstil vielleicht etwas trocken anmuten mag, gerade im Vergleich zu Wolfgangs "blumigem" tanzenden Faun, ist er aus Spielleitersicht optimal zu nennen. Das Abenteuer ist zwar von der Geschichte her recht konventionell, aber mit ausreichend originellen Wendungen und Wirrungen versehen, welche die Spieler in Atem halten ohne dabei unfair zu werden. Etwas unpassend wirkt einzig das Intermezzo im Zoo; meiner Ansicht nach etwas unwahrscheinlich, das Kultisten zu einer so unsicheren Methode greifen, um neugierige Investigatoren loszuwerden...
Fazit: Sehr flüssig zu lesen, quasi "in ein's durch". Die Übersichtlichkeit verdient besonderes Lob, in dieser Hinsicht eine echte Referenz! Klassisches Detektivabenteuer mit viel Hintergrundgeschichte und Interaktion, das sich an bekannte Muster (Stichwort "Cthulhu-Matrix") hält.

Optische Präsentation:
Der Umschlag wurde im mittlerweile bekannten Stil gefertigt, der Titelschriftzug ist diesmal sogar gut lesbar (yay!) ;-). Im Inneren finden sich atemberaubende Kapitelillustrationen von Francois Leunet (??), leider viel zu wenig (mehr mehr!), und die üblichen zeitgenössischen Fotografien. Neu sind dagegen die hervorragenden, künstlerisch aufwendig gestalteten Grundrisse und Karten von Örtlichkeiten, und natürlich der beigelegte, faltbare Nachdruck eines original alten Berliner Stadtplans (bitte bitte, sowas muss STANDARD werden!). Schade nur, das dieser etwas SEHR fest hinten im Einband angeklebt war, Perforierung (wenn man davon überhaupt sprechen kann) hin oder her, mir hat's fast den ganzen Einband zerrissen...
Besondere Erwähnung verdienen die Handouts - wundervoll! Massenweise Material findet sich hier im Anhang zu den Abenteuern. Erstmalig wurden dabei einige (leider nicht alle) der Manuskripte, Zettel, Notizen etc., welche die Spieler im Laufe der Abenteuer finden können, nicht einfach mit mittlerweile sattsam bekannten Schriftarten am Computer erstellt, sondern VON HAND geschrieben! Authentischer geht es wohl gar nicht mehr... habe ich persönlich bisher niemals solche Handouts verwendet, sondern immer selbst abgeschrieben, werde ich diese garantiert original (bzw. in Kopie) meinen Spielern aushändigen. Unbedingt beibehalten!

Fazit:
"Berlin - Im Herzen der grossen Stadt" setzt die Messlatte für zukünftige Cthulhu- und sonstige Rollenspielpublikationen ein gehöriges Stück höher! Sehr erfrischend ist das Setting im Deutschland der 1920er Jahre, welches überaus überzeugend sowohl den beiden Abenteuern gelingt, aber auch der einleitende Artikel, trotz seiner relativen Kürze, ist hochgradig informativ und verwertbar. Es wäre aber nicht schlecht, den Hintergründen in zukünftigen Bänden etwas mehr Umfang zu widmen.
Mit diesem Quellenband bringt Pegasus endlich wirklich frischen Wind in die Cthulhu-Szene, die doch schon etwas sehr in den mittlerweile sattsam bekannten amerikanischen Neu-England-Settings eingestaubt ist. War es für mich vorher unvorstellbar, meine Spielgruppe mit Abenteuern in Deutschland zu beglücken, habe ich mir genau dieses jetzt ganz fest vorgenommen und stelle dafür sogar die Nyarlathotep-Kampagne zurück.
Geht es in dieser Qualität weiter, ist mir um das deutsche Cthulhu nicht bange. Wer diesen Band nicht kauft, soll sich von Sandgehern fressen lassen! Fairer Inhalt zu einem fairen Preis!

Ingo Ahrens

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