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Ist Cthulhu wirklich böse?
Der äußerst amateurhafte und nicht
ganz
ernstgemeinte Versuch einer
psychologischen Betrachtung des Mythos
von Ingo Ahrens
m es vorwegzunehmen: Der Autor ist weder studierter noch hobbymässiger
Psychologe, sondern schreibt dies mit Allgemeinwissen und dem, was
er für logisches Denken hält. Man möge ihm sachlich
haarsträubende Äußerungen verzeihen, dabei aber
immer bedenken: lassen sich unsere psychologischen Erkenntnisse
auf Cthulhu und die Kreaturen des Mythos wirklich anwenden? Schaun
mer mal...
Wer sich die Werke von H. P. Lovecraft und verwandter Autoren (Derleth,
Lumley etc.) zu Gemüte führt, wird sehr wahrscheinlich
rasch den Eindruck bekommen, das die beschriebenen Kreaturen, z.
B. die "Großen Alten", durchweg "böse"
Kreaturen sind. Kein Wunder, Adjektive wie "blasphemisch",
"entsetzlich", "abstossend", "unirdisch",
"grauenhaft" usw. sind nicht gerade dazu angetan, uns
Menschen positiv auf so beschriebene "Personen" einzustimmen
(jedenfalls wenn wir vom Durchschnittsmenschen ausgehen).
Letztlich trifft hier aber ein bekanntes Dilemma zu - diese Empfindungen
sind nur eine Frage des Standpunktes. So hat sich unsere sogenannte
Zivilisation/Kultur im Großen und Ganzen derart entwickelt,
das wir es für unrecht, für "böse" halten,
andere Wesen oder speziell Menschen ohne (aus unserer Sicht) Rechtfertigung
zu töten, ja, die Bibel verbietet es uns sogar generell - daneben
auch das Stehlen und noch ein paar andere lustige Dinge. Doch müssen
solche Definitionen des Bösen für das ganze Universum
und alle seine Bewohner gelten, genauso unsere Begrifflichkeit des
"Guten" (Höflich, fleißig, züchtig, lebenerhaltend
usw.)?
Da ist also der "Große Cthulhu" - ein äonenaltes
Geschöpf, das Milliarden Jahr Zeit hatte, eigene Wertvorstellungen
zu entwickeln, die natürlich nicht zwangsläufig mit unseren
konform gehen müssen (wir hatten nur ein paar tausend Jahre).
Wer sind wir denn zu behaupten, das es unrecht ist, mittels unseren
kleinen Geist verwirrenden Träumen dafür zu sorgen, daß
man von sogenannten "Kultisten" und ihren Ritualen und
Beschwörungen aus seiner Verbannung, seinem Tiefschlaf geholt
wird? Würden wir uns das nicht auch wünschen, lägen
wir jahrelang im Koma auf der Intensivstation?
Vielleicht ist es in Cthulhus Augen etwas völlig normales,
zur Stärkung der eigenen Kräfte Menschen zu verschlingen.
Vielleicht übersieht er sie einfach, wenn er auf die drauftrampelt
- wir werden selbst auch unbemerkt täglich zu Mördern
von Unmengen von Insekten.
Der Mensch hat die Eigenart, Dinge, die er nicht versteht, grundsätzlich
erstmal als etwas Böses, als Teufelswerk abzutun - jedenfalls
in früheren Jahrhunderten, man erinnere sich an Hexenverfolgung,
Inquisition und das damit verbundene Leid und die Schuld, welche
die Kirche damit auf sich geladen hat. Heute ist dies wieder etwas
anders, wenn wir heute etwas nicht verstehen, sind im Zweifelsfall
Quantenteilchen schuld ;)...
Die Gentechnologie mit all ihren Vor- und Nachteilen ist heute
besonders wg. letzteren stark umstritten - für die Mi-Go (oder
Fungi von Yuggoth) ist sie wahrscheinlich völlig normal, ein
Bestandteil ihrer Kultur und ihres Lebens. Wahrscheinlich haben
sie schon ungezählte Rassen auf vielen Planeten gezüchtet
und tun es noch, aus nichts anderem, als was uns Menschen auch antreibt
- wissenschaftliche Neugier. Das wir uns moralische Grenzen gesteckt
haben, bedeutet nicht zwangsläufig, das diese auch für
die Mi-Go gelten. Wir wollen uns doch nicht etwa anmaßen zu
behaupten, das unsere Moralvorstellungen universell gelten?
Andersherum ist es natürlich so, das Wesen wie Cthulhu und
die Mi-Go sozusagen in unseren Kultur-Kreis eingetreten sind, sich
darin befinden, darin leben (irgendwie...), woraus sich ein Anspruch
der letztlich diesen Planet beherrschenden Rasse, also uns Menschen,
ableiten läßt, das "Besucher" unsere Moral
zu berücksichtigen haben, um ein Zusammenleben zu ermöglichen.
Schwierig wird es zum einen dadurch, das wir allem Anschein nach
die Schöpfungen der Mi-Go selbst sind, und zum anderen, das
eine Kreatur wie Cthulhu einfach nicht erfasst, wer und was wir
Menschen sind. Wenn ein Mensch versehentlich einen Ameisenhügel
zerstört oder beschädigt, ist das nicht anderes als wenn
"Big C" oder ein Dhole oder Cthonier (oder Godzilla) eine
unserer Städte zerstört. Müssen wir für ihn
denn nicht wie Termiten oder Ratten oder Kakerlaken in einem unserer
eigenen, sauberen Häuser sein, und merzen wir dieses Ungeziefer
nicht genauso radikal aus?
Unterstellt natürlich, das Wesen wie Cthulhu eine uns vergleichbare
Form des Bewußtseins haben. Eine gänzlich andere Struktur,
beispielsweise chaotisch, ist ungleich schwerer zu erfassen und
der unseren gegenüberzustellen.
Mit solchen Gedanken im Hinterkopf ergeben sich für einfallsreiche
Spielleiter gänzlich neue Perspektiven beim Gestalten von Abenteuern,
speziell bei den Motivationen der Gegenspieler und Monster. Mein
Beitrag zu einer wahrscheinlich im kommenden Jahr bei Pegasus erscheinenden
Cthulhu-Kampagne namens "Auf den Inseln" folgt in gewisser
Weise auch diesem Ansatz. Dort reagiert ein Hybride sehr ungehalten
auf die zunehmende Störung und Zerstörung der Natur, speziell
des Wattenmeeres, und stellt eine Art Öko-Terrorist dar, wenn
dieser Begriff auch etwas überzogen ist. Aber warum nicht?
Hybriden und Wesen aus der Tiefe haben sicher ein natürliches
Interesse an der Erhaltung ihres Lebensraumes, und wenn dieser durch
die Menschen in Gefahr ist... da ist sich doch jeder selbst der
nächste, oder nicht?
Klar ist, das Schwarz-Weiß-Betrachtungen nicht immer sinnvoll
sind, und Spieler wie auch Spielleiter manchmal durchaus in der
Lage sein sollten, Grauschattierungen zwischen "Gut" und
"Böse" zu erkennen. Allerdings sollte man es sich
dreimal überlegen, ob man einem Byakhee statt mit einer Flinte
mit einem betroffenen "Ey du, das finde ich jetzt nicht gut,
lass' uns da mal drüber reden" gegenübertritt ;-)
(c) Ingo Ahrens
2000, Alle Rechte vorbehalten, Nachdruck nur mit Genehmigung des
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