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Von wirklichen Schrecken
und schrecklichen Spielleitern

Ein Auszug aus einem Hintergrundartikel aus "In Labyrinthen - dunkle Pfade im Nordosten"
von Wolfgang Schiemichen

I

ie aber geht man nun als zukünftiger Spielleiter mit einem Szenario das ihm gefällt, um? Zunächst sollte er sich bewußt machen, daß er grundsätzlich auf der Seite der Spieler stehen muß. Er verfügt zwar über das Hintergrundwissen und er hält die Geschichte zusammen, doch ist er nichts weiter als das unsichtbare heimliche Mitglied der Abenteurergruppe, dessen Ziel es sein sollte, den Spieler unvergeßliche, spannende Erlebnisse zu liefern, nicht aber, sie innerhalb der ersten zwei Minuten auf blutige Art umzubringen. Vor diesem Hintergrund treten alle Spielwertangaben in Szenarien und selbst die Spielregeln zurück. Das heißt nicht, daß es nicht - gerade bei Cthulhu - zu tragischen Toden oder langen Aufenthalten in Irrenhäusern kommt. Wer unvorsichtig ist oder sich heldenhaft einer Gefahr aussetzt, der er nicht gewachsen sein kann, muß dafür auch die Konsequenzen tragen. Ebenso kann ein Spielercharakter ganz einfach Pech haben, und es gibt auch eine innere Logik der Spielgeschehnisse, die einfach nicht gebrochen werden darf, um die Ereignisse nicht völlig unglaubwürdig werden zu lassen. Sieht sich ein Spielercharakter von Tausenden übermäßig hungriger Ratten umgeben und gelingt es ihm, bei wiederholt mißglückten Fertigkeits- und Glückswürfen, nicht, die rettende Sprossenleiter zu erreichen, werden die Ratten über ihn herfallen. Wobei letztlich auch die Frage ist, wie es dazu kommt, daß er allein in einem Meer hungriger Nager steht. Unvorsichtigkeiten haben nun einmal im Cthulhu-Spiel bittere Konsequenzen. Doch selbst bei dem härtesten Szenario sollte der Spielleiter aus erwähnten Gründen seinen Spielern die Chance einräumen, entkommen zu können. Nicht zuletzt deshalb, weil er ja in einem späteren Spielabend selbst Spieler und ein anderer der Spielleiter sein kann. Da sollte doch der Grundsatz gelten: "Was du nicht willst, das dir man tu, das füge auch keinem anderen zu ..."

Um nun aber ein Spiel in der so angedeuteten Art zu leiten, muß sich der Spielleiter zuvor eingehend mit den Hauptgegnern und deren Stärken und Schwächen beschäftigen, wie auch mit den vorkommenden Nichtspielercharakteren. Da "Cthulhu" im wesentlichen ein detektivisches Spiel ist (sein sollte), in der die unheimlichen Geschehnisse zwar eine wesentliche, aber eben nur eine Komponente unter anderen ist, sind die Charaktere vielleicht etwas ungewöhnliche, aber ansonsten alltägliche Charaktere ihrer Zeit. Im Quellenband: "Amerika - Wäldern und Städte" wird aufgeführt, womit sich Menschen der damaligen Zeit beschäftigten, und gute Szenarien werden auch immer derartige Hinweise geben. Doch der Kultist, der in seinem Keller heimlich Kinder opfert, um einem blutigen Götzen zu huldigen, kann ebenso Apfelkuchen lieben, Briefmarken sammeln und Baseball - nicht Football ,nicht Rugby in der damaligen Zeit - mögen. Der wahnsinnige Okkultist sollte nicht jemand sein, der mit schäumendem Mund und verdrehten Augen herumtobt, sondern ein vielleicht sogar sympathisch wirkender Alltagsmensch, erst das macht ihn unberechenbarer und gefährlicher.

Doch zunächst geht es um den Gegner. Im "Nest" sind es menschenähnliche Rattenwesen, die degenerierten Nachkommen einer Familie, die jahrelang Inzucht getrieben hat. Von dieser Art reichen drei oder vier Wesen aus, um eine Spielergruppe auszuradieren. Das Haus und das damit verbundene Labyrinth ist aber vollgestopft mit derartigen Wesen, was für einen vielfachen Overkill reicht. Das hat Konsequenzen für das Spiel, die der Spielleiter von vorne herein berücksichtigen muß:
Die Spieler, die in diese Geschichte verwickelt werden, werden hauptsächlich damit beschäftigt sein, die Geschichte zu überleben, selbst wenn ihnen das in dem Haus versteckte Dynamit in die Hände fallen sollte oder die optionalen Mythostexte in das Spiel eingebracht werden. Eine hohe Chance, daß Problem zu "bereinigen", haben sie hingegen nicht. Er muß also während der Ereignisse immer wieder Hinweise geben, daß das vor den Spielern sich ausbreitende Mysterium zu gewaltig für sie sein könnte.
Da nun ohne weiteres eine kleine Gruppe dieser Rattenwesen den Charakteren zu einem frühen Tod verhelfen kann, ist die Lösung einfach. Es darf weitgehend zu keinen Konfrontationen kommen. Auch dürfen die Gegner nicht als in der Zahl erfaßbar erscheinen. Erzählt der Spielleiter:

"Als ihr den dunklen Raum betretet, seht ihr in einer Nische drei übergroße Ratten mit menschlichen Gesichtern sitzen, die ihre Nasen witternd aufrichten ... "

Die Reaktion der Spieler wird sein daß sie nach ihren Pistolen, Schrotgewehren, Granaten, Bomben und Maschinengewehren greifen, um den armen Ratten ein Ende zu bereiten. Nur daß eine Cthulhu-Spielergruppe in den seltensten Fällen wie ein militärischer Sturmtrupp ausgerüstet ist, vor allem dann nicht, wenn man ursprünglich Freunde besuchen, wollte, die nunmehr verschwunden sind. Ob nun die Menschen den Ratten oder die Ratten den Menschen den Garaus machen, die Szene wird recht blutig enden, zumal in dem Raum sich mehr als drei der Wesen aufhalten. Der Spielleiter kann diese Szene jedoch auch anders beschreiben:

" Als ihr den Raum betretet riecht es muffig, wie nach feuchtem Tierhaar. In der Abstellkammer ist es staubig, dunkel und feucht, und im Licht das durch die nun offene Eingangstür hereinfällt, bilden sich zwischen den abgestellten Möbeln tiefe Schatten. Doch die Schatten bewegen sich, besser und genauer, etwas in den Schatten wieselt und wuselt, klein und haarig schnuppert es in die Luft, da sind Augen, kleine, bösartige Augen, zwei drei vier, oder auch mehr, und ihr fühlt es, da setzt sich etwas in Bewegung ..."

Kaum ein Spieler wird da abwarten, was auf ihn zukommt, und die Tür schleunigst wieder schließen. Tut er es nicht oder nicht rechtzeitig, hat er die Folgen zu tragen. Doch in jedem Fall ist das Ergebnis, daß eine Gefahr besteht, die bedrohlich, aber ungreifbar wirkt. Derart sollten die eigentlichen Gegner in dem "Nest"-Abenteuer geführt werden, bis es zu spät und der Höhepunkt gekommen ist. Diese schattenhafte, gefährliche Horde ist ein Element der Atmosphäre und kann von dem Spielleiter mit steigender Intensität und Direktheit eingesetzt werden. Zunächst sind es nur Spuren auf die die Recherchierenden stoßen, und zwar, wenn sie, abweichend von den Vorgaben des Szenarios, im Ort recherchieren:

"... das Büro eures verstorbenen Freundes liegt an einem unbeleuchteten Seitenweg des kleinen Ortes und einem lang gestreckten Gebäudes dessen oberes Stockwerk völlig aus dunklem Holz errichtet wurde. Jetzt, in der Nacht, müßt ihr feststellen, daß dieser schlammige, kaum begehbare, geschweige denn befahrbare, Weg völlig im Dunkeln liegt, da es keinerlei Straßenbeleuchtung gibt und auch sich dicke Wolken am Himmel zusammengeballt haben, so daß schwerlich die Hand vor den Augen zu erkennen ist. Einzig einige hell erleuchtete Fenster im oberen Stock strahlen gleich vereinzelten einsamen Sternen in die Nacht hinaus und tauchen derart den Weg und die sich am Rand entlang ziehenden wuchernden Büsche in blaß-gelbliches Licht, welches nichts erhellt und die Schatten nur um so tiefer werden läßt. Obwohl es weitgehend windstill ist, irritieren euch die wie im Wind schwankenden Zweige, so als würden euch kleinere Tiere im Schutz des Dickichts begleiten. Dringt ihr jedoch in die Büsche ein, findet ihr nichts vor..."

Dringen die Recherchierenden schließlich in das Büro ein (und werden sie dabei nicht entdeckt) finden sie zerstörte, zernagte Türen und vernichtete Unterlagen vor. Verlassen sie das Gebäude wieder, finden sie weitere Hinweise auf bis unentdeckte und möglicherweise gefährlich werdende Verfolger vor, sollten jedoch auf keinen Fall entdecken mit was sie es eigentlich zu tun haben. Grundsätzlich gilt im Übrigen, daß die Gegner von sich aus Aktionen unternehmen, wovon die Spielergruppe zunächst einmal allenfalls die Auswirkungen bemerken sollten. Schließlich sind die gegnerischen Wesen nicht nur intelligent, sie haben auch einen menschlichen Führer. Warum sollten sie also sich - ganz Fantasy-Dungeon gemäß, in einer dunklen Höhle verbergen und darauf warten, daß die tapferen Helden sie entdecken und abschlachten?

Um wieder auf die notwendige interne Dramaturgie und alte Horrorfilme zurückzukommen: alle nun folgenden Begegnungen sollten einen Schritt gefährlicher angelegt sein, doch noch immer die Spieler im ungewissen lassen, womit sie es eigentlich zu tun haben. Irgendwann wird die Gruppe oder Mitglieder der Gruppe das halb gesprengte Haus betreten. In diesem Moment muß die Geschichte an Intensität zunehmen. Die Ratten werden den Spielern die Rückkehr in das Dorf versperren und beginnen, sie zu belagern. Damit sind diese mehr oder weniger vorbereitet ganz auf sich und ihren Erfindungsreichtum gestellt. Dies ist im Übrigen eine klassische, typische Situation: Daß eine begrenzte Gruppe von Menschen sich plötzlich isoliert und einem unheimlichen, übermächtigen Gegner gegenübersieht. Um dies noch zu verstärken, ist es notwendig, daß auch jetzt noch undeutlich bleibt, mit wem es die Recherchierenden zu tun haben:

" ... schon als ihr mittags aufbracht, war es neblig gewesen, und die blasse Sonne hatte nur schwer die feuchten Schwaden durchdringen können. Während ihr euch in dem Haus aufhieltet, hat er sich mehr und mehr verdichtet und hängt nun in grauen wasserschweren Fladen in den Gipfeln der knorrigen uralten Bäume, deren ohnehin spärlich belaubten Äste gleich geisterhaften, schwarzen Fingern in den nebligen Tag hineingreifen. Ihr meint fast, das Wasser von den Blättern der Bäume und der dichten, dornigen Hecke tropfen zu hören, die den verwilderten Garten des Hauses umgeben. Der Garten, dicht überwuchert, ließ niedrige, breitblättrige Pflanzen in seinem Morast gedeihen, welche nun sich als ein schweigender Pflanzenteppich ausbreiten, gleich einem grünfarbenen See, und wie auf einem See scheinen sich in ihm Wellen zu bilden, die sich auf euch, die Betrachter, zu bewegen. Nur daß das nicht sein kann, daß Pflanzen sich nicht von allein bewegen können, und daß auch nicht der leiseste Windhauch zu bemerken ist, der die Blätter in Bewegung setzen könnte. so muß es etwas anderes sein, was sich da unter dem schützenden Blätterdach auf euch zu bewegt, etwas, was Dutzende von Füßen besitzt, während ihr fühlt, wie ihr aus nutzenden bösartiger Augenpaare betrachtet werdet. Was es auch ist, was sich da verbirgt, es kratzt und raschelt und quiekt in leisen Stimmen, und es schleicht sich immer näher an euch heran, heran in dieser lautlosen weißen Nebelwelt mit seinen dunklen Bäumen und der hohen Hecke, und ihr aber seid allein, und habt euch sicherlich auch noch nie so allein gefühlt ..."

Natürlich werden die Spieler das nicht auf sich beruhen lassen und die Vorgänge untersuchen wollen. Wenn sie in das Unkraut hineinschieben, geschieht nichts, ebenso wenig, wenn sie Feuer legen wollen, da es dazu viel zu feucht ist. Versuchen sie auszubrechen, geschieht zunächst:

" ... als ihr das wuchernde, feuchte Grün des verwilderten Garten betretet, das euch bis nahezu zu den Knie reicht, bemerkt ihr, wie etwas sich in dem Dschungels aus Gras und wilden Blattgewächsen in Bewegung setzt, was die Größe eines Hundes haben muß. An nutzenden Stellen bricht da etwas durch das Grün, und fast scheint ihr die bösartige Erwartung greifen zu können, die von den Dingen im Garten ausgeht. Was es auch ist, es befindet sich auf der Jagd, und die Beute seid ihr."

Wenn die Spieler bewaffnet sind, werden sie sich natürlich zu wehren versuchen. Doch wäre es für eine wirkliche Auseinandersetzung noch zu früh. Der Fairneß halber sollte der Spielleiter zwar auswürfeln, ob jemand trifft, Verwundete aber immer von den Rattenwesen in Sicherheit schaffen lassen, so daß die Spieler zwar Spuren vorfinden und nun konkretere Vermutungen darüber anstellen können, welcher Art ihre Gegner sind, aber immer noch nicht ein klares Bild haben, es sei denn, sie hätten das Haus durchsucht oder entsprechende Stellen in den Büchern entschlüsseln zu können. Sollte es ihnen zufällig gelingen, eines der Wesen zu erledigen, kann der Spielleiter es ihnen natürlich ebenso in die Hand fallen lassen wie auch zuvor einzelne Rattenwesen konkret auftreten lassen. Doch sollte er sich in Erinnerung halten, daß eine zwar bedrohliche oder gar tödliche doch im Grunde noch unerkannte Gefahr wesentlich Angst erregender denn ein klar erkannter Gegner ist. Denn in diesem Falle können die Spieler zielgerichtet dagegen vorgehen, zuvor aber müssen sie immer erst noch verstehen, was überhaupt geschieht. Der Spielleiter muß sich nun allerdings entscheiden, ob er Spieler entkommen lassen will oder nicht. Haben sie unkonventionelle Ideen, erweisen sie sich als tapfer und intelligent oder haben sie schlichtweg ungewöhnliches Glück, sollte er es auf jeden Fall zulassen, sich aber darüber bewußt sein, daß dies den Verlauf der Handlung natürlich in ganz anderen Richtungen lenken. Doch darüber und die Funktion des Spielleiters an anderer Stelle mehr.

(c) Pegasus Press, Friedberg


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