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Ingo Ahrens

Rainy Night in Arkham

A Rainy Night in Georgia, A Rainy Night in Georgia
I believe it's raining all over the world

Tony Joe White

Sie mögen es für eine unglaubliche Geldverschwendung halten, Howard, doch ich sage Ihnen, keine zehn oder zwanzig Pferde haben mich in dieser verfluchten Stadt gehalten, nachdem man mich an jenem Morgen ohnmächtig auf dem Bürgersteig fand, und sie würden es auch nicht schaffen, mich dorthin wieder zurückzubringen.
Ich verschwende keinen Gedanken daran, das Haus meines Onkels für eine viel zu geringe Summe verkauft zu haben, kaum eine Woche, nachdem ich dort einzog, und mich rührt nur wenig, ob es dem neuen Eigentümer in dieser Gemeinde behagt oder nicht.
Es war ja nicht so, daß ich selbst mich nicht wohlfühlte beim meinem Einzug und die ersten Tage, hauptsächlich angefüllt mit dem Reinigen des angestaubten Interieurs und dem mich-einrichten mit meinen persönlichen Möbel- und Gebrauchsgegenständen, sind mir sogar äußerst angenehm in Erinnerung. So sehr mich der viel zu frühe Tod meines Onkels auch betrübte, so sehr wußte ich seine posthume Großzügigkeit zu schätzen, mir dieses herrschaftliche Haus in der East Church Street in Arkham zu vermachen, daß er über 15 Jahre bewohnte und auch darin starb.
Nein, nein, Howard, weder gab es mysteriöse Umstände wegen seines Todes, noch spukte sein Geist herum und vertrieb mich wieder. Wenn sein Geist dort war, so habe ich ihn nicht gesehen...

Arkham ist, wie du weißt, eine recht alte Stadt, voller Gassen, viktorianischer und wesentlich älterer Bauten und Häuser, denen man einen besonderen altertümlichen Charme nicht absprechen kann. So sah ich es damals jedenfalls, als ich das erste Mal durch diese Straßen ging und die Luft vergangener Zeiten einatmete. Heute ist sie für mich angefüllt mit Verfall und Entsetzen, und zwar seit genau jenem Tag, als ich mich nach Erledigung der wichtigsten Arbeiten im Haus entschloß, meine neue Heimat und ihre Bewohner besser kennenzulernen. Ich hatte viel Zeit damit verbracht, die Wohnstube und mein künftiges Arbeits- und Lesezimmer einzurichten und dabei alle anderen Räume zunächst hintenangestellt. Selbst meine Läufer und Teppiche breitete ich zunächst nur dort aus, die meisten erforderten ohnehin erst eine ausgiebige Behandlung mit dem Klopfer, so verstaubt waren sie. Ich gönnte mir also eine Pause und verließ meine neue Wohnstatt für eine Wanderung durch den Ort.
Ich hielt es für angebracht, diese und jene Sehenswürdigkeiten zu besuchen, und so führte mich mein Spaziergang unter anderem zur Bibliothek der Miskatonic University und der First Baptist Church, die älteste Kirche der Stadt und nicht sehr weit von dem Haus gelegen.

Ich versuchte unterwegs, mir die Namen der Straßen einzuprägen, die typischen Gesichter besonders auffälliger und hübscher Häuser und Gärten, und wen immer ich antraf, grüßte ich freundlich und erfuhr die gleiche Höflichkeit von den meisten zurück. Drei, vier Stunden vergingen so, bis mir am späten Nachmittag der spontane Gedanke kam, doch das Familiengrab meines werten Onkels zu besuchen, dessen Bestattung ich zwei Monate zuvor leider nicht beiwohnen konnte, wegen meiner Verpflichtungen in Boston. Sich am Horizont auftürmende dunkle Wolkenmassen machten mich zwar bedenken, daß ein Unwetter heraufziehen könnte, doch war ich nun einmal unterwegs und wenn es zum Schlimmsten käme, nun, so arg würde es nicht werden und ich bin schließlich auch nicht aus Zucker gebaut.
Den Weg zum Christchurch Cemetery hatte ich dann ein klein wenig kürzer geschätzt als er tatsächlich war, und ich mußte einmal gar einen Passanten um Wegerklärung bitten, bis ich schließlich vor dem Haupttor stand. Zum Glück war es geöffnet, bis 18 Uhr noch, so das ich etwa eine halbe Stunde Zeit hatte, auf dem Gelände nach meines Onkels Ruhestätte zu suchen.
Ich muß dabei etwas hilflos oder erschöpft gewirkt haben, denn ein alter Mann in schmutziger Arbeitskleidung und einem zerfransten Strohhut schlurfte auf mich zu. In der Hand hielt er einen Rechen, mit dem er auf den Wegen zwischen den Gräbern gearbeitet hatte, so daß ich vermutete, es mit dem Gärtner dieses Friedhofs zu tun zu haben. Mit kleinen, zusammengekniffenen Augen schaute mich der Alte, er mochte sicher schon weit jenseits der siebzig sein, eher noch älter, an und begrüßte mich mit einem eigenartig nuschelnden Dialekt.
"'n Tag auch, Sir, suchen Sie wen bestimmten hier, 'n Verwandten oder sowas? Ich kann Ihnen vielleicht helfen, ich bin hier für'n Friedhof zuständig, wissen'se? Kenn' mich gut aus, sach' ich..."
Ich erzählte ihm in einer Art erleichtertem Redefluß, währenddessen er mir unverblümt offen ins Gesicht starrte und Kautabak in seinem Mund von einer Backe zur anderen wälzte, von meinem Onkel und seinem tragischen Tod.
"Erst kürzlich bin ich in sein Haus gezogen, daß er mir vermacht hat, und, nun ja, ich war noch nie zuvor in Arkham, eine sehr freundliche Stadt, nur manchmal etwas unübersichtlich, ich fand es recht schwer, hierher zu finden. Jetzt suche ich eben sein Grab, die Beerdigung war erst vor zwei Monaten, vielleicht können Sie sich entsinnen, wo es liegt, Mr...?"
Er stellte sich daraufhin als Eamon Wallace vor und führte mich freundlicherweise zur jungfräulichen Grabstelle meines Onkels. Während ich langsam auf den kiesbedeckten Wegen hinter ihm ging, bemerkte ich betroffen, daß der Grund für sein Humpeln offenbar ein Holzbein war, sprach ihn aber nicht darauf an.
Ebenso schweigend standen wir schließlich vor meines Onkels letzter Ruhestätte und ich versank kurze Zeit in bedächtiges Grübeln über ihn und die liebenswerten Eigenarten, die seinen Charakter ausgemacht hatten. So sehr war ich in Gedanken, daß ich nicht bemerkte, daß der Friedhofsgärtner die ganze Zeit schräg hinter mir stand. Bis er mich wieder ansprach:
"Sagen 'se, in welcher Straße liegt'n das Haus Ihres Onkels?"
Nach einem kurzen Moment der Überraschung sagte ich es ihm und sah ihn nachdenklich nicken.
"Ich frag' nur , weil's in dieser Stadt 'n paar Häuser gibt, wo man besser nich' reingehen tut, wenn 'se verstehen was ich meine. Häuser mit alter Vergangenheit, 'ner alten Geschichte. So wie das vom alten Yankee-Jeb. "

Ich muß wohl interessiert gewirkt haben, was ich auch tatsächlich war, irgendwie, auch wenn ich nichts darauf sagte, denn er begann mit bedächtigen Worten eine haarsträubende Erzählung, die ich dir versuchen werde wiederzugeben, in seinem kuriosen "Dialekt", wenn man es so nennen mag:

"Der hat nämlich in der South French Hill Street, Nummer siebnsiebzich gewohnt, und das Haus steht schon ewig leer. Wissen'se, der alte Jebediah, so hieß er nämlich richtig, hat damals im Bürgerkrieg gekämpft, achtzehneinunsechzich bis fünfunsechzig, aber solange war er nich dabei nich. Der verdammte Krieg hat 'ne Menge Leute kaputt gemacht, nich nur den Körper, im Kopf mein' ich, und Jebediah gehörte dazu. War'n Sie im Krieg, Mister? Natürlich nich im Bürgerkrieg, dafür sind 'se viel zu jung, das seh ich auch, ich mein' den in Europa vor'n paar Jahren? Na, da ham'se Glück gehabt, Krieg ist keine feine Sache. Mir hat's das Bein kaputt gemacht, und Jebediah ist verrückt geworden. Wir war'n zwar nich im selben Regiment, aber ich hab' mit einigen Leuten gesprochen, die in seinem waren, und die ham ganz merkwürdige Sachen über ihn erzählt. Das er sich nach jedem Gefecht aufm Schlachtfeld rumgetrieben hat, bei denen Leichen, wissen 'se? Die Taschenuhren und Münzen und Knöpfe und anderes Zeug soll er ihnen abgenommen haben, den Toten, sacht man. Aber, nachdem die etwas mehr Whisky intus hatten, sachten die ganz andere Dinge. Da wurden 'se ganz ernst und meinten, das wäre noch das harmloseste, was 'se gesehen hätten und schwören Stock und Bein, das 'se ihn gesehen hätten, wie er an den armen Teufeln herumgekaut hat. Ja, 'se hören schon ganz richtig, Sir, aufgegessen haben soll er die Toten, na, zumindest teilweise sach ich. Die Rationen bei der Armee waren zwar manchmal ganz schön mies, aber sowas, soll man kaum glauben...
Nach'm Krieg hat Jebediah dann dieses Haus in der South French Hill in Beschlag genommen, und bis er dann um neunzenhunnert herum gestorben ist, oder verschwunden, sach ich mal besser, man hat ihn kaum mal gesehen, zum Schluß immer weniger und dann gar nicht mehr. Der arme Bastard ist immer mit seiner Uniform rumgelaufen, hatte wohl keine anderen Klamotten, war ganz schön zerschlissen, das Teil, und immer mitter Mütze auf'm Kopf, kennense doch, so'ne Yankee-Uniform? Eine Offiziers-Jacke war das, wasser anhatte, mit zwei goldnen Knopfreihen un so, aber 'n Offizier isser bestimmt nich gewesen, hatter geklaut sachich. Hab' ihn mal auf der Straße gesehen und wollte mit ihm sprechen, über'n Krieg und so, weil, da wußte ich noch nicht das was ich ihnen eben erzählt habe, vom Tote essen und das. Aber er hat mich so ganz verrückt angesehen, mit 'nem Gesicht, also das hätten 'se sehen müssen, dem hat der Krieg wirklich übel mitgespielt, man muß schon ziemlich bekloppt sein im Kopf, um so zu gucken, als ob er mich fressen wollte. Nur'n Scherz, Sir, gefressen hat er hier keinen, und wenn doch hat's keiner gemerkt, und wer guckt schon in die Särge wenn die Leute erstmal verbuddelt sind, nich' wahr? Ja, tja, der alte Yankee-Jeb... schade, das sein Haus so lange schon leersteht, ist'n gutes Haus, stabil gebaut, ja. Wo wohnten sie noch gleich? East Church Street, auch 'ne gute Ecke, gute Häuser, ja..."

So endete sein langsamer Monolog, den ich dir nur ansatzweise nacherzählen kann. Keine Frage, daß ich dem schwer verständlichen Genuschle aus dem Mund des alten Friedhofgärtners schließlich nurmehr aus Höflichkeit Interesse zeigte. Du weißt ja selbst, Howard, drittklassige Geistergeschichten wie diese gibt es in jeder kleinen und großen Stadt Neuenglands, die etwas auf sich hält, und es hätte mich nicht mal großartig erschreckt, wäre das von mir bezogene Haus jenes vom Yankee-Jeb gewesen.
Etwas erschrocken war ich dann aber, als ich feststellte, daß während der Unterhaltung die Zeit rasant vorangeschritten war und auch die dunklen Wolken sich nun unmittelbar über Arkham zusammenballten und ein mächtiges Gewitter erahnen ließen. Schon grummelte es über unseren Köpfen und erste Regentropfen platschten auf die Grabsteine und den Hut des Alten.

"So, da geht's schon los, Mister, sehen 'se besser zu, daß Sie ins Trockene kommen! Bis zur Church Street isses 'ne ganze Ecke, wollen'se nicht lieber in meiner Hütte unterkommen, bisses vorbei ist?" Bei diesen Worten entblößte Gärtner Eamon Wallace das erstemal seine Zähne zu einer verzerrten Karikatur eines Lächelns und Hölle, Howard, niemals hätte ich mich mit diesem Kerl mit so spitzen, krummen, schiefstehenden Zähnen in eine baufällige Hütte auf einem Friedhof gesetzt. Nun, das war dann wirklich ein Erschrecken und ich machte mich mit einigen Entschuldigungen und Dankesbekundungen ob seiner "höchstinteressanten" Geschichte rasch auf den Weg. "Gucken 'se immer nach'm Kirchturm, dann finden 'se schon nach Hause. Ist schon reichlich dunkel jetz'!", rief er mir mit brüchiger Stimme hinterher.

Eingedenk einer kürzlich erlittenen Lungenentzündung, die mich, du erinnerst dich, fast einen ganzen Monat lang ans Bett fesselte, eilte ich mich besonders, dem schlimmsten Wolkenbruch zu entgehen und hastete den Weg zurück, den ich gekommen war. Zumindest hoffte ich das, denn ich hatte erst eine kurze Strecke zurückgelegt, als es haltlos in dicken, schweren Tropfen zu schütten begann, wie man so sagt, und die Stadt in einem grauen Zwielicht aus Regen und finsteren Wolken versank.
Meine Kleidung war praktisch sofort durchnäßt und klebte mir vollgesogen und schwer am ganzen Leib. An der einen oder anderen Kreuzung peitschte mir der Wind die Tropfen ins Gesicht und ich hatte Mühe, mit dem Wasser in den Augen meinen Weg zu erkennen.

Nach mir schier unendlich erscheinender Zeit, in welcher die Schauer kein bißchen Nachliessen, bog ich endlich in die richtige Straße ein und stand vor dem dunklen Schemen meines Hauses. Triefend und frierend, aber erleichtert, endlich am Ziel zu sein, stand ich unter dem Dach der Veranda und wühlte mühsam in meinen Taschen nach den Schlüsseln für die Haustür. Mit klammen Fingern führte ich den Schlüssel in das Schloss, bemerkte aber dabei, das die Tür offen und nur angelehnt war. Wie leichtsinnig ich doch gewesen war, hätte ich tatsächlich vergessen, hinter mir abzuschließen und sogar die Tür nicht richtig geschlossen!

Als ich sie nun gänzlich öffnen wollte, ging dies nur sehr schwer, als ob das Holz sich verzogen hätte und über den Boden schleifte. Mit aller Kraft drückte ich sie soweit auf, daß ich mich in den Flur drängen konnte, wo ich den Grund für das störrische Verhalten feststellte, denn zwischen Unterkante der Tür und dem Boden hatte sich eine Ecke vom Teppich verklemmt.

Ich beseitigte das Hindernis, schloß die Tür und rückte den Teppich zurecht, mehr schlecht als recht, denn von draußen kam kein Licht herein, so finster war es bei dem Unwetter. Ich tastete nach dem Lichtschalter, fand jedoch keinen, wo er meiner Erinnerung nach hätte sein sollen. ‚Natürlich', schalt ich mich, ‚Du bist hier nicht mehr in deiner alten Wohnung in Boston, dort wäreder Lichtschalter an jener Stelle im Flur gewesen!' Beim besten Willen konnte ich mich nun nicht mehr erinnern, wo sich denn nun hier die entsprechenden Vorrichtungen befanden, entsann mich aber immerhin eines Bretts mit Kleiderhaken, das - hier, an dieser Stelle, genau! sich befinden mußte. Dort ließ ich zunächst meinen Mantel triefend hängen, bevor ich mich weiter vorantastete.

Meine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit, ich erkannte Konturen eines eckigen Gegenstandes vor mir an der Wand, wahrscheinlich einer Umzugskiste, die hier noch zahlreich herumstanden. Linker Hand mußte der Durchgang zur Küche sein und tatsächlich ertastete ich den rauhen Holzrahmen. Dann muß genau gegenüber das Wohnzimmer sein - ich drehte mich nach rechts und erkannte eine annähernd mannshohe, schwarze Fläche, die sich als solche schwer von der nur wenig helleren Wand des Flures abhob. Als ich meine Hand befriedigt auf die Klinke legte und sie niederdrückte, ließ ein gewaltiger Donnerschlag das Haus erzittern und mich zusammenzucken, so daß ich praktisch "mit der Tür ins Haus", genauer: das Wohnzimmer fiel. Zu diesem morbiden Schrecken, wie ich bemerkte, als ich mir auf dem Boden kauernd die angestoßenen Knie rieb, kam nämlich noch eine Art kleiner Kommode oder etwas ähnliches, in diesem Licht nicht näher definierbares, hinzu, das vor der Tür gestanden haben mußte. Ich war haltlos darüber gestolpert und wunderte mich nun, was dies für ein Möbelstück sein mochte, denn ich hatte gewiß keines einfach so vor der Tür drapiert, wozu auch? Besaß ich überhaupt ein derartig dimensioniertes Möbelstück? Ich tastete unsicher über das rohe, wahrscheinlich unlackierte Material, fand aber keine Ähnlichkeit zu vergleichbaren Möbeln in meinem Besitz. Jedoch, im Dunkeln täuschen uns unsere Sinne immer wieder, so daß ich mich dadurch nicht weiter beunruhigen ließ. Viel unangenehmer war der Gedanke, wie es an seinen Platz gekommen sein mochte, und ich kam nicht umhin anzunehmen, daß ein Einbrecher meine Nachlässigkeit mit der Eingangstür ausgenutzt haben könnte, hier einzudringen und meine Sachen durcheinanderzubringen.

Ich kam vorsichtig wieder auf die Beide und ärgerte mich nun maßlos über diese unverzeihliche Achtlosigkeit. Darauf vorbereitet, das noch weitere Dinge mir im Weg sein könnten, schritt ich vorsichtig durch das Wohnzimmer, zur zweiten Tür, die vor der Treppe wieder auf den Flur führen würde, wo es hinauf in mein Arbeitszimmer gehen sollte. In meinem Schreibtisch befand sich zusammen mit einem Zigarrenkästchen und anderen Utensilien eine Schachtel Zündhölzer. Ich bedauerte nur, das ich keinerlei Kerzen oder eine Laterne parat hatte, aber ich entsann mich ungefähr, in welcher Kiste sich eine Petroleumlampe befinden mußte. Nur brauchte ich etwas Licht, um diese zu finden.

Immer wieder erhellte ein Blitz meine Umgebung, die mir jedesmal fremdartiger erschien, teilweise leer, wo Dinge hätten stehen sollen, dann wieder erfühlte ich einen Tisch und Stühle, die sich eigentlich nicht an dieser Stelle befinden sollten. Allerdings schob ich diesen Eindruck damals auf überreizte Sinne, den Umzugsstreß und die Umgebung, an die schließlich gar keine Zeit gehabt hatte mich zu gewöhnen, jedenfalls nicht so sehr, daß ich mich praktisch blind darin zurechtfinden könnte.

Ich kam mir äußerst hilflos vor und tappte, hätte mich jemand gesehen, wahrscheinlich äußerst dumm und hilflos in dem, was ich für das Wohnzimmer hielt, umher. Der prasselnde Regen auf dem Dach und an den Fenstern, die verstörende Kulisse des Gewittersturms, meine wiederhallenden Schritte auf dem Holzfußboden und die immer wieder rollenden donnernden Blitze taten ihr übriges, das Zimmer für mich in ein Gespensterlabyrinth der verzerrten Schatten und formlosen Schemen zu verwandeln, die Phantomen gleich bei jedem Aufblitzen erschienen und wieder verschwanden.

Ich gestehe dir freimütig, Howard, in jenem Moment damals unter starkem nervlichen Druck gestanden zu haben, aber ich war gewiß nicht ängstlich! Wäre ich das gewesen, hätte ich mich unter einem Tisch verkrochen und das Unwetter abgewartet. So aber tastete ich mich vorwärts und gelangte zu einer Tür, die, wie ich meinte und hoffte, zum Arbeitszimmer führen sollte.

Erleichtert fühlte meine Hand über das kühle Material des Griffs und ich drückte ihn herunter. Ein durchdringendes Knarzen und Quietschen begleitete das Aufziehen der Tür... ich dachte, das kann nicht sein, so hat die Tür beim Einzug doch auch nicht geknarrt? Mit einem verstärkt unwohlen Gefühl trat ich durch die Tür - und prallte gegen etwas Nachgiebiges, Weiches, das mich, so mein Eindruck, wieder von sich stieß. Oder war ich das selbst, der aus Schreck vor einem unerwarteten Hindernis zurückwich?
Ich landete schmerzhaft rücklings auf dem Boden und stieß mir den Kopf am nackten Holzfußboden. Für einen kurzen Moment sah ich bunte Lichter vor den Augen, und als ich wieder klar war und mich hochbeugte um zu betrachten, gegen was ich da gelaufen war, beleuchtete eine sekundenlanger Blitz die gerade geöffnete Tür.

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich so schnell aus dem Raum und dem Haus gekommen bin, schließlich war es nach wie vor sehr finster und vor allem - ich kannte dieses Haus ja gar nicht! Im Nachhinein erscheint mir alles so klar, das ich mich frage, wie ich damals die Zeichen nicht erkannt habe. Wie konnte ein Teppich im Flur die Eingangstür blockieren - ich hatte dort überhaupt noch keinen gelegt! Der Kleiderhaken, der dort war, wo ich ihn finden wollte - es gab ihn in meiner Wohnung zu der Zeit noch gar nicht.
Ach Howard, und dann diese kleine Kommode über die ich stolperte, was immer das auch genau war... kein Einbrecher hatte sie dort hingestellt. Es gab überhaupt keinen Einbrecher, wenn überhaupt, dann war ich ein solcher gewesen. Richtig, ich hatte mich in ein fremdes Haus verirrt. Doch das war es nicht, was mich so sehr mitnahm, so gut kennst du mich. Aber was sich mir im Schein dieses letzten Blitzes offenbarte... schieb es auf die überreizten Sinne, wie gesagt, auf den Einfluß des Gefasels eines verrückten Friedhofsgärtners, oder was auch immer - was ich gesehen habe, habe ich gesehen! Und ich sah, in diesem weißen, unnatürlichen Licht, eine Gestalt im Türrahmen, groß wie ein Mensch, auch so proportioniert. In einer Hand hielt sie etwas, dessen Umrisse an einen großen Knochen erinnerten, aber da bin ich mir bald gar nicht mehr so sicher - möchte ich nicht sicher sein! Mein Blick wanderte die Beine hinauf, realisierte den blauen Stoff einer verwitterten, löchrigen Uniform - und blieb an einer doppelten Reihe gold-glänzender Knöpfe hängen, die eine blaue Uniformjacke zierten...

Was ich weiter sah, erinnere ich mich gottlob nicht mehr, aber es reichte, mich aus dem Haus zu treiben, so fluchtartig, daß ich auf dem schlammigen Zuweg ausgeglitten und ein weiteres Mal zu Boden gegangen sein mußte - diesmal ganz und gar. Erst am nächsten Morgen fand man mich in tiefer Bewußtlosigkeit auf dem Bürgersteig liegen - vor dem Haus Nummer 770 in der South French Hill Street.

(c) by Ingo Ahrens, Alle Rechte vorbehalten, Abdruck nur mit ausdrücklicher Genehmigung

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