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Ingo Ahrens Rainy Night in ArkhamA Rainy Night in Georgia, A Rainy Night in Georgia Sie mögen es für eine unglaubliche Geldverschwendung
halten, Howard, doch ich sage Ihnen, keine zehn oder zwanzig Pferde
haben mich in dieser verfluchten Stadt gehalten, nachdem man mich
an jenem Morgen ohnmächtig auf dem Bürgersteig fand, und
sie würden es auch nicht schaffen, mich dorthin wieder zurückzubringen. Arkham ist, wie du weißt, eine recht alte Stadt, voller Gassen,
viktorianischer und wesentlich älterer Bauten und Häuser,
denen man einen besonderen altertümlichen Charme nicht absprechen
kann. So sah ich es damals jedenfalls, als ich das erste Mal durch
diese Straßen ging und die Luft vergangener Zeiten einatmete.
Heute ist sie für mich angefüllt mit Verfall und Entsetzen,
und zwar seit genau jenem Tag, als ich mich nach Erledigung der
wichtigsten Arbeiten im Haus entschloß, meine neue Heimat
und ihre Bewohner besser kennenzulernen. Ich hatte viel Zeit damit
verbracht, die Wohnstube und mein künftiges Arbeits- und Lesezimmer
einzurichten und dabei alle anderen Räume zunächst hintenangestellt.
Selbst meine Läufer und Teppiche breitete ich zunächst
nur dort aus, die meisten erforderten ohnehin erst eine ausgiebige
Behandlung mit dem Klopfer, so verstaubt waren sie. Ich gönnte
mir also eine Pause und verließ meine neue Wohnstatt für
eine Wanderung durch den Ort. Ich versuchte unterwegs, mir die Namen der Straßen einzuprägen,
die typischen Gesichter besonders auffälliger und hübscher
Häuser und Gärten, und wen immer ich antraf, grüßte
ich freundlich und erfuhr die gleiche Höflichkeit von den meisten
zurück. Drei, vier Stunden vergingen so, bis mir am späten
Nachmittag der spontane Gedanke kam, doch das Familiengrab meines
werten Onkels zu besuchen, dessen Bestattung ich zwei Monate zuvor
leider nicht beiwohnen konnte, wegen meiner Verpflichtungen in Boston.
Sich am Horizont auftürmende dunkle Wolkenmassen machten mich
zwar bedenken, daß ein Unwetter heraufziehen könnte,
doch war ich nun einmal unterwegs und wenn es zum Schlimmsten käme,
nun, so arg würde es nicht werden und ich bin schließlich
auch nicht aus Zucker gebaut. Ich muß wohl interessiert gewirkt haben, was ich auch tatsächlich war, irgendwie, auch wenn ich nichts darauf sagte, denn er begann mit bedächtigen Worten eine haarsträubende Erzählung, die ich dir versuchen werde wiederzugeben, in seinem kuriosen "Dialekt", wenn man es so nennen mag: "Der hat nämlich in der South French Hill Street, Nummer
siebnsiebzich gewohnt, und das Haus steht schon ewig leer. Wissen'se,
der alte Jebediah, so hieß er nämlich richtig, hat damals
im Bürgerkrieg gekämpft, achtzehneinunsechzich bis fünfunsechzig,
aber solange war er nich dabei nich. Der verdammte Krieg hat 'ne
Menge Leute kaputt gemacht, nich nur den Körper, im Kopf mein'
ich, und Jebediah gehörte dazu. War'n Sie im Krieg, Mister?
Natürlich nich im Bürgerkrieg, dafür sind 'se viel
zu jung, das seh ich auch, ich mein' den in Europa vor'n paar Jahren?
Na, da ham'se Glück gehabt, Krieg ist keine feine Sache. Mir
hat's das Bein kaputt gemacht, und Jebediah ist verrückt geworden.
Wir war'n zwar nich im selben Regiment, aber ich hab' mit einigen
Leuten gesprochen, die in seinem waren, und die ham ganz merkwürdige
Sachen über ihn erzählt. Das er sich nach jedem Gefecht
aufm Schlachtfeld rumgetrieben hat, bei denen Leichen, wissen 'se?
Die Taschenuhren und Münzen und Knöpfe und anderes Zeug
soll er ihnen abgenommen haben, den Toten, sacht man. Aber, nachdem
die etwas mehr Whisky intus hatten, sachten die ganz andere Dinge.
Da wurden 'se ganz ernst und meinten, das wäre noch das harmloseste,
was 'se gesehen hätten und schwören Stock und Bein, das
'se ihn gesehen hätten, wie er an den armen Teufeln herumgekaut
hat. Ja, 'se hören schon ganz richtig, Sir, aufgegessen haben
soll er die Toten, na, zumindest teilweise sach ich. Die Rationen
bei der Armee waren zwar manchmal ganz schön mies, aber sowas,
soll man kaum glauben... So endete sein langsamer Monolog, den ich dir nur ansatzweise nacherzählen
kann. Keine Frage, daß ich dem schwer verständlichen
Genuschle aus dem Mund des alten Friedhofgärtners schließlich
nurmehr aus Höflichkeit Interesse zeigte. Du weißt ja
selbst, Howard, drittklassige Geistergeschichten wie diese gibt
es in jeder kleinen und großen Stadt Neuenglands, die etwas
auf sich hält, und es hätte mich nicht mal großartig
erschreckt, wäre das von mir bezogene Haus jenes vom Yankee-Jeb
gewesen. "So, da geht's schon los, Mister, sehen 'se besser zu, daß Sie ins Trockene kommen! Bis zur Church Street isses 'ne ganze Ecke, wollen'se nicht lieber in meiner Hütte unterkommen, bisses vorbei ist?" Bei diesen Worten entblößte Gärtner Eamon Wallace das erstemal seine Zähne zu einer verzerrten Karikatur eines Lächelns und Hölle, Howard, niemals hätte ich mich mit diesem Kerl mit so spitzen, krummen, schiefstehenden Zähnen in eine baufällige Hütte auf einem Friedhof gesetzt. Nun, das war dann wirklich ein Erschrecken und ich machte mich mit einigen Entschuldigungen und Dankesbekundungen ob seiner "höchstinteressanten" Geschichte rasch auf den Weg. "Gucken 'se immer nach'm Kirchturm, dann finden 'se schon nach Hause. Ist schon reichlich dunkel jetz'!", rief er mir mit brüchiger Stimme hinterher. Eingedenk einer kürzlich erlittenen Lungenentzündung,
die mich, du erinnerst dich, fast einen ganzen Monat lang ans Bett
fesselte, eilte ich mich besonders, dem schlimmsten Wolkenbruch
zu entgehen und hastete den Weg zurück, den ich gekommen war.
Zumindest hoffte ich das, denn ich hatte erst eine kurze Strecke
zurückgelegt, als es haltlos in dicken, schweren Tropfen zu
schütten begann, wie man so sagt, und die Stadt in einem grauen
Zwielicht aus Regen und finsteren Wolken versank. Nach mir schier unendlich erscheinender Zeit, in welcher die Schauer kein bißchen Nachliessen, bog ich endlich in die richtige Straße ein und stand vor dem dunklen Schemen meines Hauses. Triefend und frierend, aber erleichtert, endlich am Ziel zu sein, stand ich unter dem Dach der Veranda und wühlte mühsam in meinen Taschen nach den Schlüsseln für die Haustür. Mit klammen Fingern führte ich den Schlüssel in das Schloss, bemerkte aber dabei, das die Tür offen und nur angelehnt war. Wie leichtsinnig ich doch gewesen war, hätte ich tatsächlich vergessen, hinter mir abzuschließen und sogar die Tür nicht richtig geschlossen! Als ich sie nun gänzlich öffnen wollte, ging dies nur sehr schwer, als ob das Holz sich verzogen hätte und über den Boden schleifte. Mit aller Kraft drückte ich sie soweit auf, daß ich mich in den Flur drängen konnte, wo ich den Grund für das störrische Verhalten feststellte, denn zwischen Unterkante der Tür und dem Boden hatte sich eine Ecke vom Teppich verklemmt. Ich beseitigte das Hindernis, schloß die Tür und rückte den Teppich zurecht, mehr schlecht als recht, denn von draußen kam kein Licht herein, so finster war es bei dem Unwetter. Ich tastete nach dem Lichtschalter, fand jedoch keinen, wo er meiner Erinnerung nach hätte sein sollen. Natürlich', schalt ich mich, Du bist hier nicht mehr in deiner alten Wohnung in Boston, dort wäreder Lichtschalter an jener Stelle im Flur gewesen!' Beim besten Willen konnte ich mich nun nicht mehr erinnern, wo sich denn nun hier die entsprechenden Vorrichtungen befanden, entsann mich aber immerhin eines Bretts mit Kleiderhaken, das - hier, an dieser Stelle, genau! sich befinden mußte. Dort ließ ich zunächst meinen Mantel triefend hängen, bevor ich mich weiter vorantastete. Meine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit, ich erkannte Konturen eines eckigen Gegenstandes vor mir an der Wand, wahrscheinlich einer Umzugskiste, die hier noch zahlreich herumstanden. Linker Hand mußte der Durchgang zur Küche sein und tatsächlich ertastete ich den rauhen Holzrahmen. Dann muß genau gegenüber das Wohnzimmer sein - ich drehte mich nach rechts und erkannte eine annähernd mannshohe, schwarze Fläche, die sich als solche schwer von der nur wenig helleren Wand des Flures abhob. Als ich meine Hand befriedigt auf die Klinke legte und sie niederdrückte, ließ ein gewaltiger Donnerschlag das Haus erzittern und mich zusammenzucken, so daß ich praktisch "mit der Tür ins Haus", genauer: das Wohnzimmer fiel. Zu diesem morbiden Schrecken, wie ich bemerkte, als ich mir auf dem Boden kauernd die angestoßenen Knie rieb, kam nämlich noch eine Art kleiner Kommode oder etwas ähnliches, in diesem Licht nicht näher definierbares, hinzu, das vor der Tür gestanden haben mußte. Ich war haltlos darüber gestolpert und wunderte mich nun, was dies für ein Möbelstück sein mochte, denn ich hatte gewiß keines einfach so vor der Tür drapiert, wozu auch? Besaß ich überhaupt ein derartig dimensioniertes Möbelstück? Ich tastete unsicher über das rohe, wahrscheinlich unlackierte Material, fand aber keine Ähnlichkeit zu vergleichbaren Möbeln in meinem Besitz. Jedoch, im Dunkeln täuschen uns unsere Sinne immer wieder, so daß ich mich dadurch nicht weiter beunruhigen ließ. Viel unangenehmer war der Gedanke, wie es an seinen Platz gekommen sein mochte, und ich kam nicht umhin anzunehmen, daß ein Einbrecher meine Nachlässigkeit mit der Eingangstür ausgenutzt haben könnte, hier einzudringen und meine Sachen durcheinanderzubringen. Ich kam vorsichtig wieder auf die Beide und ärgerte mich nun maßlos über diese unverzeihliche Achtlosigkeit. Darauf vorbereitet, das noch weitere Dinge mir im Weg sein könnten, schritt ich vorsichtig durch das Wohnzimmer, zur zweiten Tür, die vor der Treppe wieder auf den Flur führen würde, wo es hinauf in mein Arbeitszimmer gehen sollte. In meinem Schreibtisch befand sich zusammen mit einem Zigarrenkästchen und anderen Utensilien eine Schachtel Zündhölzer. Ich bedauerte nur, das ich keinerlei Kerzen oder eine Laterne parat hatte, aber ich entsann mich ungefähr, in welcher Kiste sich eine Petroleumlampe befinden mußte. Nur brauchte ich etwas Licht, um diese zu finden. Immer wieder erhellte ein Blitz meine Umgebung, die mir jedesmal fremdartiger erschien, teilweise leer, wo Dinge hätten stehen sollen, dann wieder erfühlte ich einen Tisch und Stühle, die sich eigentlich nicht an dieser Stelle befinden sollten. Allerdings schob ich diesen Eindruck damals auf überreizte Sinne, den Umzugsstreß und die Umgebung, an die schließlich gar keine Zeit gehabt hatte mich zu gewöhnen, jedenfalls nicht so sehr, daß ich mich praktisch blind darin zurechtfinden könnte. Ich kam mir äußerst hilflos vor und tappte, hätte mich jemand gesehen, wahrscheinlich äußerst dumm und hilflos in dem, was ich für das Wohnzimmer hielt, umher. Der prasselnde Regen auf dem Dach und an den Fenstern, die verstörende Kulisse des Gewittersturms, meine wiederhallenden Schritte auf dem Holzfußboden und die immer wieder rollenden donnernden Blitze taten ihr übriges, das Zimmer für mich in ein Gespensterlabyrinth der verzerrten Schatten und formlosen Schemen zu verwandeln, die Phantomen gleich bei jedem Aufblitzen erschienen und wieder verschwanden. Ich gestehe dir freimütig, Howard, in jenem Moment damals unter starkem nervlichen Druck gestanden zu haben, aber ich war gewiß nicht ängstlich! Wäre ich das gewesen, hätte ich mich unter einem Tisch verkrochen und das Unwetter abgewartet. So aber tastete ich mich vorwärts und gelangte zu einer Tür, die, wie ich meinte und hoffte, zum Arbeitszimmer führen sollte. Erleichtert fühlte meine Hand über das kühle Material
des Griffs und ich drückte ihn herunter. Ein durchdringendes
Knarzen und Quietschen begleitete das Aufziehen der Tür...
ich dachte, das kann nicht sein, so hat die Tür beim Einzug
doch auch nicht geknarrt? Mit einem verstärkt unwohlen Gefühl
trat ich durch die Tür - und prallte gegen etwas Nachgiebiges,
Weiches, das mich, so mein Eindruck, wieder von sich stieß.
Oder war ich das selbst, der aus Schreck vor einem unerwarteten
Hindernis zurückwich? Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich so schnell aus dem Raum
und dem Haus gekommen bin, schließlich war es nach wie vor
sehr finster und vor allem - ich kannte dieses Haus ja gar nicht!
Im Nachhinein erscheint mir alles so klar, das ich mich frage, wie
ich damals die Zeichen nicht erkannt habe. Wie konnte ein Teppich
im Flur die Eingangstür blockieren - ich hatte dort überhaupt
noch keinen gelegt! Der Kleiderhaken, der dort war, wo ich ihn finden
wollte - es gab ihn in meiner Wohnung zu der Zeit noch gar nicht. Was ich weiter sah, erinnere ich mich gottlob nicht mehr, aber es reichte, mich aus dem Haus zu treiben, so fluchtartig, daß ich auf dem schlammigen Zuweg ausgeglitten und ein weiteres Mal zu Boden gegangen sein mußte - diesmal ganz und gar. Erst am nächsten Morgen fand man mich in tiefer Bewußtlosigkeit auf dem Bürgersteig liegen - vor dem Haus Nummer 770 in der South French Hill Street. (c) by Ingo Ahrens, Alle Rechte vorbehalten, Abdruck nur mit ausdrücklicher Genehmigung
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