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Tanz der Schatten

Robert von Senkowsky

V

or kurzem ist leider meine Tante aus Boston verstorben. Ich habe sie immer sehr gemocht, auch wenn ich sie, seit sie nach Amerika geheiratet hat, nur selten gesehen habe, und ihr Tod hat mich sehr getroffen. Da sie und ihr Mann kinderlos geblieben sind, und ich ihr nächster Verwandter bin, ist mir der gesamte Besitz zugefallen, ein kleines Haus am Stadtrand von Boston, in dem die Familie ihres Mannes seit mehreren Generationen lebte. Ich bin also nach Boston geflogen mit dem festen Vorsitz, dieses Haus zu veräußern und wieder nach Österreich zurückzukehren. Als ich aber die persönlichen Sachen meiner Tante durchsah, fielen mir einige sonderbare Briefe in die Hände, die anscheinend von einer Freundin der Großmutter von Mr. Hawkings, dem Gatten meiner Tante, stammten. Ich war schockiert, als ich die Briefe las, und versuchte, das Schicksal der armen Ms. Kottan zu enthüllen. Es hat mich einige Zeit gekostet, aber dann habe ich den am Ende des Buches zu findenden Zeitungsartikel in der Hawaiian Daily vom &&&&&1928 gefunden. Ich versuchte daraufhin auf Hawaii Spuren dieser ominösen Sekte zu finden, aber nachdem ich einigen Anschlägen auf mein Leben nur knapp entgangen bin, beschlossen, meine Nachforschungen einzustellen, und statt dessen diese Geschichte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Lesen sie selbst, was mit der armen Margret Kottan passiert ist.

Robert von Senskau, Innsbruck, 29.04.1998

Liebe Margret, Hawaii, 26.04.1928

Ich bin gut in Hawaii angekommen. Die Überfahrt mit dem Schiff war wunderschön. Der Himmel war die ganze Zeit blau und wolkenlos. Ich hatte eine luxuriös eingerichtete Kabine, und die Bedienung war wirklich sehr freundlich. Das alles hat mir sehr geholfen, über den tragischen Tod von Phil hinwegzukommen, und Ich bin zuversichtlich, daß hier in Hawaii die Wunden, die sein Tod geschlagen hat, heilen werden. Wir sind hier sehr freundlich begrüßt worden, die Eingeborenen haben uns Blumenkränze umgehängt, ganz so, wie man das aus dem Kino kennt. Das Hotel, in dem Ich untergebracht bin, ist sehr fein und ein bißchen im einheimischen Stil gehalten, mit Bambus (oder was auch immer das ist) verkleidet und das einheimische Personal ist sehr zuvorkommend. Morgen werde Ich bei dem englischen Konsul vorstellig werden, einem sehr engen Freund des armen Phil, wie Du ja weißt.
Ich muß jetzt aber wirklich Schluß machen, mir fallen schon die Augen zu. Ich werde dir in drei tagen wieder schreiben, und alles erzählen, was Ich bis dahin erlebt habe.

Bis bald, deine Mary

Liebe Margret, Hawaii, 29.04.1928

Zuerst einmal vielen Dank für deinen wundervollen Brief. Die letzten tage hier sind wie im Flug begannen, Ich bin jetzt sogar umgezogen (dazu später). Am Tag nach meiner Ankunft bin Ich zum Büro des britischen Gesandten gegangen. Der alte Sir Henry, der Konsul, und mein Mann, Gott habe ihn selig, waren zusammen im Großen Krieg und hatten sich gegenseitig so manches mal das Leben gerettet. Sir Henry erzählte mir einige lustige und auch einige anrüchige Anekdoten aus seiner Zeit mit Phil (Sir Henry ist ein, wie sagt man so schön, echter Haudegen, von altem Schrot und Korn). Es war sehr amüsant sich mit ihm zu unterhalten, und seine Frau ist sehr nett, wenn auch ein bißchen schüchtern (sie ist eine Einheimische!). Nach dem Abendessen haben mich der Konsul und seine Frau dann eingeladen, bei ihnen zu wohnen, was Ich zuerst ablehnte, dann aber doch dankend annahm, denn die Beiden bewohnen eine wunderschöne Villa etwas außerhalb der Stadt. Ich bin also am nächsten Tag vom Hotel zu den Henrys (jetzt habe Ich wirklich den Nachnamen vergessen, alle nennen ihn nur Sir Henry!) gezogen und habe dort ein sehr schönes Zimmer mit Blick auf den Vulkan Park bekommen. Und jetzt kommt es (Ich bin immer noch so aufgeregt!): Nachdem wir das Abendessen zu uns genommen hatten, saß Ich alleine auf der Terrasse und sah mir den wunderschönen Sonnenuntergang an, als plötzlich ein Mann an der Veranda vorbeiging. Ich sah ihn nur ganz kurz, aber was Ich sah machte mich ganz kribbelig. Er war ein Einheimischer, sehr muskulös, hatte pechschwarze Haare und war sicher keinen Tag älter als fünfundzwanzig. Ich weiß, Ich sollte daß so kurz nach Phils Tod (Nun ja, immerhin ist es jetzt doch schon ein halbes Jahr her) nicht so reden, aber seit Ich diesen Mann gesehen habe, kann Ich nur noch an ihn denken. Ich versuche herauszufinden wer er ist und werde dir wieder schreiben.

Alles Liebe, deine Mary

Margret, Ich bin verliebt! Hawaii, 01.05.1928

Du kannst Dir kaum vorstellen, was mir in den letzten tagen widerfahren ist. Ich bin ganz aufgeregt. Aber erst der Reihe nach. Es ist wirklich unglaublich, was mir passiert ist. Du erinnerst Dich noch an den Mann, von dem Ich Dir geschrieben habe? Es ist der Bruder von Sir Henrys Frau und arbeitet als Chauffeur für den Konsul! Ich bin ihm begegnet, als Ich am nächsten Tag in die Stadt fahren wollte, ein paar Souvenirs für die Kinder zu kaufen. Er hat mich gefahren und wir haben uns die ganze Zeit über prächtig unterhalten. Er ist ein wunderbarer Mann und so gebildet, obwohl er nur als Chauffeur arbeitet. Meiner Meinung nach wäre er zu ganz anderen Arbeiten (intellektueller Art) fähig! Ich glaube Ich habe mich die ganze Zeit wie ein verliebtes Schulmädchen benommen, aber er hat so getan als bemerke er es nicht. Peter, so heißt er, hat mir geholfen die Souvenirs zu kaufen und mir ganz versteckte Geschäfte gezeigt, die man als normale Touristin kaum zu sehen bekommt, und in denen es wundervolle einheimische Kunst gibt (Ich hab dir auch etwas gekauft, laß Dich überraschen!). Mittags hat er mir dann ein einheimisches Restaurant gezeigt, in dem es wundervollen gebratenen Fisch und Meeresfrüchte gab. Und während des ganzen Essens hat er mir Komplimente gemacht! Ich glaube Ich gefalle ihm, obwohl Ich ja auch schon langsam auf die vierzig zugehe, aber Ich bin immer noch sehr schlank und er hat mir dauernd Komplimente gemacht über meine "schönen roten Haare"! Danach sind wir noch ein bißchen durch den Hafen gebummelt, und als wir zurückgefahren sind, hat er mir versprochen, morgen einige sehenswerte hawaiianische Plätze zu zeigen. Ich bin ja so gespannt! Ich hoffe er mag mich, wie Ich ihn! Ich schreibe dir sobald wie möglich mehr.

Deine verliebte Mary

Liebe Margret, Hawaii, 07.05.1928

Entschuldige, daß Ich solange nichts von mir habe hören lassen, aber die Zeit verging wie im Flug und Ich habe so eine schöne Zeit erlebt wie schon lange nicht mehr. Peter hat mich ganz in seinen Bann gezogen, Ich bin verliebt wie ein junges Ding! Die letzten Tage waren die schönsten in meinem Leben! Weißt Du noch, daß Peter mich zu den schönsten Plätzen der Insel führen wollte? Das hat er dann auch getan, und es war wunderbar. Hawaii ist so eine wunderschöne Insel. Wir waren den ganzen Tag unterwegs, aber als wir dann umkehren wollten, fing es an zu regnen, und wir mußten in einer leerstehenden Hütte am Rand des Park Zuflucht suchen. Wenn Ich nicht wüßte, daß es unmöglich ist, würde Ich sagen, daß Peter es genau so geplant hat, denn in der Hütte ist es dann passiert. Ich habe gezittert als wäre es das erste Mal , aber Peter war ganz sanft und (mehr will Ich hier nicht schreiben, wer weiß von wem dieser Brief gelesen wird, aber wenn Ich zurückkomme, muß Ich dir alles unbedingt erzählen, es war wunderschön!). Wir blieben die ganze Nacht in der Hütte und kehrten erst am nächsten Morgen zur Villa des Konsuls zurück. Die Henrys ließen sich nicht anmerken ob sie etwas ahnten, aber Ich glaube nicht, denn Peter sagte, wir sollten nichts davon bekannt werden lassen, daß wir ein Paar sind. Die nächsten Tage vergingen wie im Flug, Peter und Ich verbrachten soviel Zeit wie nur möglich zusammen. Er erzählte mir von den Bräuchen der Einheimischen auf den Inseln und auch vom "Tanz der Schatten". Einmal in der Woche treffen sich die Männer und Frauen eines Stammes, zu dem auch Peter gehört, am Krater des Vulkan Park und bilden einen Kreis um selbigen. Anscheinend huldigen sie so einer längst vergessenen Gottheit, deren Namen Ich nicht aussprechen kann, aber es hört sich so an wie Yog-Sothoth. Er hat mir auch ein Bild geschenkt, auf dem so ein Schattentanz dargestellt ist. Es ist übrigens von einem Amerikaner, Pickman. Auf dem Bild ist nicht viel zu sehen, nur ein paar (nackte, wie schamlos!) Eingeborene und komische Tentakel mit klauenbewehrten Saugnäpfen, die sich aus dem Krater schlängeln, und die wohl der Phantasie des Malers entspringen. Das Bild gefällt mir nicht, es ist irgendwie unheimlich, aber Ich will Peter nicht vor den Kopf stoßen und hänge es in meinem Zimmer auf. Heute am Abend geht Peter wieder zu solch einer Versammlung und wird erst Morgen wiederkommen. Ich freue mich schon, denn er will mir einen Ort zeigen, wo wir ungestört sein können, so eine Lagune, mit kristallklarem Wasser und weißem Sand, wie man sie aus dem Kino kennt! Ich schreibe bald wieder, Ich hoffe daß Ich dir dann wieder viel zu erzählen habe!

Bis bald, Margret

P.S.: Grüße an die Kinder!

Liebe Margret, Hawaii, 11.05.1928

Ich habe dir wieder so viel zu erzählen, aber leider nur so wenig Zeit. Peter will mich nämlich heute Abend abholen und zum Tanz der Schatten mitnehmen. Ich bin schon ganz aufgeregt. Peter hat gesagt, daß es das erste mal sei, daß eine Fremde bei so einem Ereignis teilnehmen darf! Und das hat Peter alles extra für mich organisiert! Ich liebe ihn so sehr, und Ich glaube, Ich werde ihn morgen fragen, ob er nicht mit mir in die Staaten kommen will, dann könnte Ich ihn dir vorstellen. Ich bin überzeugt, er würde dir gefallen. Eigentlich gefällt er allen, Ich bin noch niemandem begegnet, der ihn nicht mochte. Außer seiner Schwester, der Frau Konsul. Sie hat mich heute beiseite genommen und gebeten, nicht zum Schattentanz zu gehen (Ich weiß nicht, woher sie das wußte, wahrscheinlich hat ihr Bruder ihr davon erzählt), aber wahrscheinlich ist sie nur nicht damit einverstanden, daß Ich mit Peter zusammen bin. Ich bin wirklich schon gespannt, was dort passieren wird, denn so wie auf dem Bild dieses Malers wird es sicher nicht aussehen (Oder sind vielleicht wirklich alle nackt?). Auf jeden Fall wird es sicher ein einmaliges Erlebnis! Ich muß jetzt aufhören, es klopft am Fenster. Das ist sicher Peter. Ich schreibe dir morgen sofort, was genau passiert ist.

Deine Mary

P.S.: Ich bin so aufgeregt!

Ausschnitt aus der Hawaiian Daily vom 17.05.1928:

Tote Frau in Bucht gefunden -hp

Spaziergänger fanden am gestrigen Abend die Leiche einer weißen Frau in einer Bucht nahe dem Vulkan Park. Die Leiche hatte länger im Wasser gelegen und wies starke Verletzungen wie von riesigen Saugnäpfen auf. Leutnant Kenneally von der Polizei gab in seinem Bericht an, daß die Frau offenbar von verschiedenen Personen geschändet, getötet und anschließend in die See geworfen worden sei, in der Hoffnung, daß die Strömung ihren Körper ins offene Meer getrieben wird. Anscheinend hat sich die Leiche dann in den Fängen einer Krake verwickelt, was die Abdrücke der Saugnäpfe erklärt. Augenzeugen behaupten, die Abdrücke der Saugnäpfe seien wie mit Zähnen bewehrt gewesen, Leutnant Kenneally dementiert das aber. Ein ähnlicher Fall ist laut den Behörden vor ungefähr sechzig Jahren schon einmal aufgetreten, es besteht aber kein Grund für die Bevölkerung in Panik zu geraten.

(C) 1999 Robert Senkowsky

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