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leich zwei Einsendungen haben diesmal das Storyboard erreicht!
Gut, eine davon ist ein Gedicht, keine Story, aber wen stört das
schön? Viel Spaß und lasst euch beim Lesen für eigene Werke inspirieren!
Der ARKHAM CHRONICLE braucht auch für die nächste Ausgabe
wieder Material, also her mit Kurzgeschichten, Spielreports
in Storyform, Gedichten usw.: Mehl
Nebel
über Oer-Erkenschwick (Kai Crystalla)
Ein braver Soldat (Sebastian Weitkamp)

Ein braver
Soldat
Sebastian Weitkamp
Er stieg in den eisigen Februarwind, der den Perron
von der Ostsee her bestrich. Der Himmel war grau und wolkenverhangen.
Von Zeit zu Zeit riß die schwarze Masse auf und ein Sonnenstrahl
schoß gleißend daraus hervor und ritzte einen Flecken
Erde aus der Dunkelheit. Bevor der Zug für die Fahrt durch
den Korridor plombiert worden war, hatte er sich eine Schachtel
Zigaretten gekauft, die er in dem dunstigen Abteil die letzten Kilometer
in der Manteltasche gehalten hatte. Nun rochen seine Finger wohlig
und aromatisch nach dem frischen Tabak.
Er schlug den Mantelkragen hoch, schob den Hut weiter in die Stirn,
griff den Koffer fester und stampfte gegen den Wind in die Ankunftshalle.
Der hohe Bau war fast menschenleer. Seine Schritte hallten auf dem
gefliesten Boden wider, als er zum Ausgang ging. Draußen empfing
ihn ein leichter Nieselregen, der von der Danziger Bucht in Böen
durch die Luft gepeitscht wurde. Das wellenartige Rauschen des Regens
schlug gegen die wilhelminischen Bauten des Bahnhofsplatzes. Unter
den Arkaden wartete er lange auf ein Taxi. Ein Bettler war die einzige
Gesellschaft und dessen Blicke bohrten sich tief in seinen Rücken.
Im Automobil ließ er sich im Fond auf einer rissigen Lederbank
nieder. Die feuchte Stadt flog in Schattierungen an den Fenstern
vorbei. Dunkle Gestalten drückten sich an den Hauswänden
von Nische zu Nische, schutzsuchend vor dem stärker werdenden
Niederschlag. Und als er sie so laufen sah, erinnerten sie ihn an
Menschen auf der Flucht. Nur selten glänzte eine Straßenlaterne
hinein.
Im Stadtgraben 9 stieg er im Reichshof ab. Er trug einen falschen
Namen ins Gästebuch ein, hinterlegte einen falschen Paß,
bezahlte eine Nacht im voraus und begab sich auf sein Zimmer.
Das helle Mondlicht fiel schräg durch die dreckigen Fenster
und traf halb auf einen erblindeten Spiegel. Er legte seinen Koffer
auf das angelaufene Messingbett. Es war so durchgelegen, daß
er froh war, keine Nacht darauf verbringen zu müssen. Er legte
ab und stellte sich ans Fenster. Sein Blick fiel auf die Dächer
der Stadt, die sich wie ein finsteres Meer vor ihm ausbreiteten.
Er zerriß die Banderole der Zigarettenschachtel und fingerte
durch das Silberpapier eine Zigarette heraus. Er rauchte stark,
aber wenn er 'draußen' war, war es noch mehr. Die rote Glut
war das einzig Warme in diesem trostlosen Zimmer.
Es war noch früh, und so schloß er sein Zimmer ab und
folgten den ausgetretenen Stufen mit dem hochflorigem Teppich hinunter
ins Foyer. Beim schläfrigen Nachtportier gab er seinen Schlüssel
ab. Er schlenderte links durch die Glastür, auf der sich ein
Jugendstilmuster auffächerte, in die Bar. Nur wenige Gäste
saßen an den runden Tischen oder dem gleißendem Tresen.
In ihr eigenes Leben vergraben starrten sie wie Flüchtling
in die Gläser. Mehrere alte Gummibäume kauerten in ihren
Messingkübeln in den Ecken und das Parkett gestand dem Kritallüster
nur dumpf seinen Widerschein zu, während er in der Spiegelwand
hinter der Bar tausendfach glänzte. Schwungvoll nahm er einen
Barhocker und bestellte einen Old Fashioned. Das Grammophon leierte
Yes, we have no Bananas und Ain't She Sweet.
Geruhlich zog er eine Zigarette aus der verknitterten Schachtel
und inhalierte bald darauf den aromatischen Rauch. Er beobachtete
die anderen. Niemand sah zu ihm hinüber. An einem Tisch gegenüber
unterhielt sich ein älterer Mann mit weißem Haar und
hohen Geheimratsecken mit einer jungen Dame im grünen Trägerkleid.
Der Herr trug einen Smoking, der an den Ärmeln zu kurz war
und einen ausgewaschenen Fleck auf der rechten Tasche hatte. Die
Frau hörte ihm gelangweilt zu. Ihre Blicke tasteten das Cocktailglas
vor sich ab, während sie ihre Perlenkette durch die zarten
Finger gleiten ließ.
Er vermied es in den großen Spiegel mit goldenem Brokatrahmen
zu sehen, der sich ihm wie ein Feind gegenüber aufgebaut hatte.
Doch einmal, nur einmal hatte er sich seine Vorsicht vergessen lassen,
und er sah in zwei müde Augen. Müde durch all die Dinge,
die sie gesehen hatten, die Gesichter, das Flehen. Sein Gesicht
wirkte eingefallen und hohlwangig. Er machte die Drecksarbeit. Anfangs
hatte er sich damit arrangiert und unbeschwert gelebt. Doch jetzt
sehnte er sich nach einem anderen Leben.
In dieser Einsamkeit holte er ein verblaßtes Photo aus der
Brieftasche. Zwei Männer in kurzen Hosen saßen inmitten
von Kabelrollen an einem Funkgerät. Dichte Vegetation wucherte
um sie herum. Beide hatten den Tropenhelm in den Nacken geschoben
und lächelten den Photographen ausgelassen an. "Im Busch.
Februar 1917. Für meinen treuen Gefährten," stand
in blauer Tinte auf der Rückseite. Unterschrieben war die Note
in einer aristokratischen Handschrift: "Hptm. von Kys."
Als seine Augen die Unterschrift trafen, lächelte er leise
und ehrlich.
Die Dame hatte den Herrn nun zu einem Tanz überreden können.
Zu den peitschenden Rhythmen von Salty Dog hechelte die alte Gestalt
auf dem Parkett und war bald am Ende ihrer Kräfte. Die Dame
schien dies nicht stören. Sie wirbelte ihre Perlenkette durch
die Luft und verbog ihren Körper in wilder Ekstase. Mit Trauer
beobachtete er das ungleiche Paar.
Die letzte Stunde war er rastlos umhergegangen, hatte immer wieder
auf die Uhr geschaut. Die Zeiger schlichen durch die Zeit. Seit
er wieder hier war hatte er kein Licht gemacht. So lag der Raum
im trüben Dunkel, und er war erleichtert, dadurch die Leere
um ihn herum verdecken zu können. Der Aschenbecher hatte sich
gefüllt und die Luft war dick und dunstig geworden, so daß
er das Fenster öffnen mußte. Die kühle Nachtluft
fuhr stechend in sein träges Gesicht und vertrieb die dumpfen
Gedanken. Es hatte stark angefangen zu regnen. Der Wolkenbruch hämmerte
in Myriaden gegen die Scheiben. Dicke Tropfen fielen auf das Sims
und den Teppich.
Manchmal nahm er einen Schluck aus seiner Taschenflasche. Der importierte
Whiskey brannte im Magen. Gegen zwölf Uhr ging er zum Koffer.
Er nahm eine Mauserpistole, eine Lederjacke, einen Schlagring und
ein Amulett heraus. Alle persönlichen Gegenstände steckte
er in die Taschen. Schließlich kniete er vor dem Bett nieder
und bekreuzigte sich. Noch auf den Knien besah er sich eine Photographie
seiner Frau, die ihn verführerisch von unten herauf durch die
kinnlangen Haare anlächelte. Er küßte es, bevor
er es zurück in seine Jacke schob.
An der Tür blickte er sich noch einmal um. Niemand könnte
ihn aus den hinterbliebenen Sachen identifizieren. Allesamt stammen
sie aus der Asservatenkammer der Berliner Polizei. Er würde
nicht zurückkommen, um sie abzuholen.
Seine Lederjacke wehrte sich heftig gegen den Regen, der alles durchnäßte.
Der Hut welkte auf seinem Kopf. Das Wasser, welches vom Trottoir
in den Rinnstein rann, schluckte seine Schritte. Er brauchte nur
zwei Blocks bis in die Gasse Am Sande, die verloren in der Nacht
lag. Dort lag der kleine Buchladen von Jeremiah Vermi. Seit er den
Namen bei der Befehlsausgabe gehört hatte, hatte er ihn gehaßt.
Als er durch die Straßen schlich war er der Erzengel, der
das Leben dieses Mannes vernichten sollte. Er wußte nicht
warum, aber sein Vorgesetzter hatte ihm gesagt, daß es nötig
war. Dies bedeutete, daß Jeremiah Vermi Grenzen überschritten
hatte, Grenzen, die kein Mensch überschreiten durfte. Grenzen,
die jenseits der Vorstellungskraft lagen, Grenzen, die sich durch
die unergründliche Tiefe der Sterne zogen.
Vermis Haus kauerte sich windschief zwischen zwei stolze Bürgerhäuser
aus der Gründerzeit. Es war alles andere als furchteinflößend,
sondern machte einen erbärmlichen Eindruck. Die Farbe an den
Fensterrahmen splitterte, und der Putz gab langsam das Mauerwerk
frei. Im Erdgeschoß gähnte die schwarze Höhle der
Schaufensterscheibe. Er blieb einen Moment im strömenden Regen
stehen, die Tropfen rannen ihm übers Gesicht und fielen vom
Kinn hinab. Der Wind hatte wieder zugenommen und wehte durch die
dunkle Gasse, trieb den Regen vor sich her und verfing sich geräuschvoll
im Kopfsteinpflaster. Die Finsternis der Nacht schien sich zu verdichten,
als er langsam auf das Haus zuschritt.
Die verrottete Holztür zum Hinterhof war unverschlossen. Er
bewegte sich mit der Sicherheit eines Menschen, der weiß,
was er will. Den Grundriß des Grundstücks hatte er im
Kopf, er hätte hier aufgewachsen sein können. Gegen Vorlage
eines Polizeiausweises hatte eine verstörte Sekretärin
des Bauamtes die Pläne ausgehändigt.
Der Hinterhof war dreckig und vom ständigen Niederschlag aufgeweicht.
Die häßlichen Rückseiten der Mietshäuser umstanden
den Platz. Alle Fensterläden waren geschlossen, kaum ein Licht
drang in die Nacht. Das Geräusch des Regens war überall.
Es kroch in jeder Ritze des Mauerwerks und grub sich in seinem Kopf
fest. Das Mondlicht malte die wilden Schatten einer toten Ulme gegen
die Hauswände. Er hatte keine Angst.
Leise wandte er sich nach links, stieg ein paar ausgetretene Stufen
hinauf und öffnete geschickt das Schloß der Tür.
Ohne ein Geräusch schwang sie auf und gab einen dunklen Flur
preis. Links und rechts stapelten sich Bücher vom Boden bis
fast zur Decke. Alte Bücher. Er zog die Mauser aus dem Halfter
und schraubte einen Schalldämpfer auf. Seine Taschenlampe tastete
sich über den ergrauten Teppich. Flackernd kam eine Tür
und ein Treppenabsatz in Sicht. Die Tür führte zum Laden.
Er beachtete sie nicht und schlich die Treppe hinauf. Alles war
still. Oben roch es nach altem Schweiß und Zigaretten. In
einer kleinen Küche türmte sich Geschirr im Spülstein.
Alte Essensreste lagen auf dem Tisch. Im Schlafzimmer feuerte er
sofort zwei Schüsse in die Decken und Kissen des Holzbettes,
aber es war leer. Enttäuschung befiel ihn. Das Zimmer muß
seit Tagen nicht benutzt worden sein. Eine Staubschicht hatte sich
über alles gelegt. Es war länger nicht gelüftet worden.
Verwunderung.
Er schlich hinab und warf einen Blick in das Kontor. Im Halbdunkel
erkannte er nur Konturen. Der Regen trommelte melodisch gegen die
Scheiben. Bücher, Folianten, Atlanten und Werke vergessener
Schriftsteller lagen überall; auf dem Boden, in Regalen quer
durcheinander, in Kisten. Er hatte keine Angst. Er war schon öfter
'draußen im Felde' gewesen, wie sie es nannten.
Er erinnerte sich an den Verschlag unter der Treppe. Mit ruhiger
Hand stieß er ihn auf. Schwarz wie der Styx floß der
Abgrund vor ihm in die Tiefe. Modrige Luft stieg ihm in die Nase
und ein Geruch, den er seit den Schützengräben Flanderns
nicht mehr gespürt hatte: Leichengeruch. Eine Betontreppe machte
kein Geräusch, als er seinen Fuß auf ihre Stufen setzte.
Die Stille begann bedrohlich zu werden. Gedämpft hörte
er den Wolkenbruch aus einer anderen Welt. Seine Kinnmuskeln spannten
sich. Er umklammerte den runden Griff der Pistole. Die Knöchel
traten weiß hervor.
Der Keller bestand nur aus einem großen Raum. Die verwesenden
Leichen von zwei Männern und einer Frau lagen auf dem Boden
oder vielmehr die Überreste davon. Er würgte den Schrecken
schnell hinunter. Alles, was in den Akten stand, war wahr. Er war
zu recht hier.
Im milchigen Licht tat sich ein Loch in der Wand auf. Ziegelbrocken
breiteten sich auf dem Boden aus. Ein Stollen erstreckte sich ins
Erdreich. Er zögerte eine schreckliche Sekunde, dann knirschte
der Schutt unter seinen Stiefeln. Gebückt schlich er den ovalen
Gang hinunter. Das Geräusch des Regens war endgültig verstummt.
Die toten Wurzeln längst gefällter Bäume bildeten
einen skurrilen Wandschmuck, der im zuckenden Kegel der Lampe zum
Leben erwachte.
Nach ein paar Metern mündete der Stollen in eine unübersichtliche
Höhle, deren Wände von schleimigen, unnatürlichen
Formen überzogen waren. Schwefelgeruch biß in der Nase.
Auf unheilige Weise schien das Geflecht zu leben. Es warf dumpf
platzende Blasen und erhellte den Raum matt mit phosphoreszierendem
Licht. Das Glühen war am stärksten in Halbkugeln, die
in dem erstarrten Sekret eingebettet waren. Wie ein Herzschlag pulsierten
sie. Kleine, echsenartige Kreaturen wanden sich wie Embryos in diesen
Zellen. Der Anblick raubte ihm den Atem. Dies überstieg alles,
was er bis jetzt gesehen hatte. Erstarrt blieb er stehen. Das Ende
der Höhle entzog sich seinem Blick, sie mußte gigantisch
sein.
Unweit von ihm kauerte eine Gestalt vor einem rechteckigen Steinblock,
der mit seltsamen Zeichen übersät war. Noch bevor er handeln
konnte, fuhr das Wesen herum. Sein Anblick ließ ihn erzittern
und ein stummer Schrei würgte sich die Kehle hinauf. Was ihn
da fixierte war ein grauenhaftes Ding. Eine abscheuliche Mischung
aus Mensch und Fledermaus, das Gesicht eine verzerrte Karikatur
einer menschlichen Fratze, die ihn hämisch anzugrinsen schien.
Dunkle Augen blitzten ghulisch. Vermis Gesicht. Lederartige Drachenflügel
spannten sich vom Rücken zu vollem Umfang, als das Grauen auf
ihn zu schwebte. Die Haut war braun und in Folge mannigfacher Metamorphosen
tief vernarbt. Klauenhände hingen von dem unförmigen Körper
herab. In rascher Folge verschoß er sein ganzes Magazin in
den aufgeblähten Torso. Die Kugeln rissen ohne Wirkung große
Stücke aus dem unheimlichen Fleisch. Er wirbelte herum, hetzte
den Gang entlang. Das Röcheln seines Verfolgers dröhnte
ihm in den Ohren. Er konnte den Regen nicht mehr hören. Er
betete darum, endlich den Regen hören zu können. Oh Gott,
dachte er, sei meiner armen Seele gnädig.
Plötzlich fühlte er warme Flammen von hinten durch seinen
Körper dringen. Kurz hochgehoben sackte er zu Boden. Blut schmeckte
er im ganzen Mund. Seine Augenlider flackerten, Kraft verließ
seine Muskeln. Kurz bevor eine schwarze Woge des unendlichen Ozeanes
über ihm zusammenbrach, sah er noch einmal seine Frau, wie
sie ihn verführerisch von unten herauf durch die kinnlangen
Haare anlächelte. Und er glaubte, den vertrauten Duft ihrer
warmen Haut zu spüren.
*
[nach oben]
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