Der
Mythos vom Heiligen Gral ist in den Sagen und Legenden
verschiedener Kulturkreise verankert. So finden sich nicht
nur keltische und christliche Wurzeln, sondern auch Anleihen
in der orientalischen und altägyptischen Mystik.
Die ältesten greifbaren Überlieferungen finden sich wohl
im mündlich tradierten Wissen der keltischen Mythologie.
Vor allem die Erwähnung von Füllhörnern und Kesseln
weisen frappierende Ähnlichkeit mit den Beschreibungen des
Grals auf. Ein solcher "Kessel der Fülle" soll
sich im Besitz des Titanen Bran befunden haben. Dieser
Kessel konnte nicht nur jede erdenkliche Speise
hervorbringen, sondern auch Tote wieder zum Leben erwecken.
Die spätere christianisierte Legende scheint in der Tat
Anleihen in dieser frühen Version zu haben, denn ein
Schwager des Joseph von Arimathia und ebenfalls Hüter des
Grals wird Bron genannt. Überhaupt vermischen sich in späteren
Fassungen der Legende oft christliche Symbolik mit
heidnischen Mythen. Darin mag auch der Grund liegen, dass
der Gral von der Kirche niemals als Reliquie anerkannt
wurde, sondern im Gegenteil als Häresie betrachtet wurde.
In der Tat hat die Kirche allen Grund, den Gral mit Zweifel
zu betrachten, denn die Legende sagt auch, dass der Kelch
aus einem grünen Edelstein (wahrscheinlich ein Onyx)
gefertigt wurde, den der Erzengel Luzifer Morgenstern in
seiner Krone trug, bevor er sich gegen Gott erhob und dafür
zur Strafe in die Hölle verbannt wurde.
Ausgerechnet
ein Gegenstand mit solcher Vergangenheit wurde schließlich
von Jesus beim Letzten Abendmahl gesegnet und anschließend
gar dazu benutzt, das Blut des Heilands unter dem Kreuze
aufzufangen. Daher wird der Kelch wohl auch als
"Heiliger" Gral bezeichnet.
Irgendwann nach der Kreuzigung muss der Gral schließlich
nach England gelangt sein. Wahrscheinlich ist, dass Joseph
von Arimathia, angeblich ein enger Vertrauter Jesu, den
Kelch mit sich führte, als er in Sachen Zinnhandel ins
englische Cornwall reiste. In der Stadt Glastonbury soll er
nicht nur die erste christliche Kirche auf englischem Boden
gegründet, sondern auch den Gral in einem sicheren Versteck
verwahrt haben. Seither, so die Legende, wird das heilige
Gefäß durch die Nachfahren Arimathias geschützt.
Doch auch in den Sagen um König Arthur spielt der Gral eine
Rolle. So sollen die Ritter der Tafelrunde seinetwegen die
Gemeinschaft verlassen und die Welt durchstreift haben. Doch
nur wenigen ist es gelungen, dem Gral nahe zu kommen.
Darunter den Rittern Galahad, Gawain und schließlich
Parzival, der, nachdem er den kranken Gralskönig erlöste,
selbst zum neuen Hüter wurde.
Immer
wieder werden auch historische Tatsachen mit dem
Grals-Mythos verknüpft. So wird z.B. dem Orden der
Tempelritter oft unterstellt, seine Ritter seien ebenfalls
Gralshüter gewesen. Dies lässt sich wahrscheinlich auf das
literarische Werk Wolframs von Eschenbach, einem
mittelalterlichen Schriftsteller, der einen der
bedeutendsten Gralsromane verfasst hat, zurückführen. Denn
bei ihm wird die reine Ritterschar, deren Aufgabe es ist den
Gral zu bewachen, mit "Tempeleisen" bezeichnet.
Wie dem auch sei, als der Orden verboten und verfolgt wurde,
machten Gerüchte die Runde, die Templer hätten in der Tat
Geheimlehren angehangen und ein Idol namens "Baphomet"
angebetet, das in der heutigen Literatur oft mit dem Gral
gleichgesetzt wird.
Die Templer waren nicht die erste Gemeinschaft, die
(angeblich wegen des Grals) unter Anklage der Häresie
verfolgt und vernichtet wurden. Schon eine
christlich-gnostische Sekte, die Katharer, die man ebenfalls
mit dem Gral in Verbindung bringt, fielen der Inquisition
zum Opfer. Angeblich brachten einige wenige Brüder während
der Belagerung der Katharerfestung Montségur ein
geheimnisvolles, heiliges Objekt vor den Häschern des
Papstes in Sicherheit. Durchaus möglich, dass dieses Objekt
(bei dem es sich um den Gral gehandelt haben könnte) in die
Hände von Templern gelangte, die als "Armee in päpstlichen
Diensten" an der Belagerung teilgenommen hatten.
Nicht nur diese Spur führt in das Gebiet der Pyrenäen im Süden
Frankreichs. Eine frühere Legende berichtet, dass Maria
Magdalena nach Frankreich gelangte. Angeblich erwartete sie
ein Kind von Jesus; eine Vermutung, die durch einen Übersetzungsfehler
ein gewisses Maß an Bedeutung gewinnen könnte. Denn es
gibt die Vermutung, dass das französische "Saint Gréal"
(Heiliger Gral) eigentlich als "Sang Réal"
(Heiliges Blut) gelesen werden müsste (beides wird gleich
ausgesprochen). Dann wäre der Gral also in Wahrheit die
"Blutlinie", also Nachkommenschaft von Jesus
Christus. Angeblich stammte sowohl das Geschlecht der
Merowinger, als auch die Königshäuser der Stewarts und
Habsburger vom Heiland selbst ab.
Möglicherweise wurde genau dies in den Pergamenten bestätigt,
die Berenger Sauniére bei der Restaurierung der alten
Dorfkirche von Rennes-le-Château (die übrigens Maria
Magdalena eweiht war) fand. Was auch immer der Inhalt dieser
Dokumente war, nur wenig später lebte der Priester in einem
Luxus, den sich ein einfacher Dorfpfarrer unmöglich leisten
konnte. Nicht wenige glauben, dass der gute Mann
Schweigegeld vom Vatikan selbst bezog, um das Geheimnis des
Stammbaumes Jesu zu wahren.
Da aber bis heute der Inhalt und die Existenz dieser
Dokumente umstritten ist, kann über einen Zusammenhang
zwischen dem plötzlichen Reichtum des Pfarrers und dem
Geheimnis des Heiligen Grals nur gemutmaßt werden.
Wo
aber soll dann der Gralskelch abgeblieben sein? Möglicherweise
brachten die Templer ihn noch in Sicherheit, bevor die große
Verhaftungswelle einsetzte. Angeblich stach die gesamte
Templerflotte am Abend bevor die europaweite Verhaftung sämtlicher
Brüder begann vom Hafen La Rochelle aus in See und wurde
nie wieder gesehen. Außerdem sollen einige Ritter nach
Schottland ins Exil geflüchtet sein und sich der dort
aufkommenden Freimaurerei angeschlossen haben. Zusammen mit
dem schottischen Prinzen Henry Sinclair sollen sie auf
Expeditionen gar bis in die Neue Welt, vor die Küste
Neu-Schottlands gelangt sein und dort auf einer Insel, die
heute "Oak Island" heißt, einen gigantischen
Schacht angelegt haben, den sie mit verschiedenen
"Sicherungsanlagen" versehen haben. Offensichtlich
sollte dort etwas gut versteckt werden. Der Gral?
Es ist bis heute umstritten, ob dieser Schacht wirklich von
Sinclair und seinen Begleitern angelegt wurde. Fest steht
jedoch, dass einige schottische Bauwerke, die unter ihm
errichtet wurden, Hinweise auf einen Besuch in der Neuen
Welt enthalten.
Was auch immer der Gral sein mag, ob Kelch, Kessel oder
Stammbaum, die Suche nach ihm hat viele Geister beflügelt -
und egal, wo er heute verborgen liegen mag: Der Tag an dem
er gefunden wird, wird leider auch das Ende all der schönen
Legenden und Spekulationen sein. Daher soll als Schlusswort
ein Zitat von Jorge Luis Borges dienen:
"Die Lösung eines Rätsels ist immer weniger
interessant als das Rätsels selbst. Rätsel haben etwas Übernatürliches
und sogar Göttliches - die Lösung aber ist immer nur
Handwerk."
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