Isaak Die Sonne hielt sich feige hinterm Horizont versteckt, da trat Vater in mein Zelt und hat mich aufgeweckt. Er sagte "Steh auf Sohn, uns bleibt nicht mehr viel Zeit, Gott verlangt ein Opfer und der Weg zum Berg ist weit." Wir nahmen den Esel. Zwei Knechte mußten mit. Die trugen das Holz. Sie hielten kaum Schritt. Wir durchquerten die Wüste, die Sonne brannte heiß. Vater blickte kalt. Sein Herz war aus Eis. Vater, wohin ziehen wir? Vater, bitte sprich mit mir! Vater, wohin ziehen wir? Vater, wo ist das Opfertier? Es war am dritten Tag, wir konnten kaum mehr gehn. Da hob Vater kurz die Augen, er schien etwas zu sehn. Er befahl den Knechten:" Nehmt den Esel wartet hier, am Fuße dieses Berges. Mein Sohn, du kommst mit mir!" Er zeigte hoch zum Gipfel "Dort müssen wir hinauf!" Dann packte er das Holz und lud mir alles auf. Ich bat ihn zu warten, doch er drehte sich nicht um. Seine Lippen bebten, doch er blieb stumm. Vater, wohin ziehen wir? Vater, bitte sprich mit mir! Vater, wohin ziehen wir? Vater, wo ist das Opfertier? Vater baute schweigend einen steinernen Altar. Ich kann mich nicht erinnern, daß er je so grimmig war. Auf dem ganzen Berg war nicht ein Tier zu sehn. Doch Vater machte Feuer, da begann ich zu verstehn. Schon hielt er eine Fackel, und ein Messer in der Hand. Ich schichtete das Holz, auf das er mich dann band. Er lächelte entrückt. Er lächelte gequält. Er sagte: "Gott hat dich zum Opfer erwählt!" Vater, bring mich fort von hier! Vater, was verlangt dein Gott von dir? Vater, bring mich fort von hier! Vater, ich bin kein Opfertier! Vater, bitte sprich mit mir. Der rettende Engel, er ist nicht hier! Vater, bitte sprich mit mir! Vater, was verlangt dein Gott von dir? ICH BIN KEIN OPFERTIER... ---------------------------------------------------------------------- Schwarzer Witwer Wenn du abends aus der Tuere gehst drehst du den Schluessel zweimal um Wenn du zurueckkommst kann es sein das du spaet nachts noch ganz allein vor deiner eigenen Tuere stehst zu Stein erstarrt, reglos und stumm. Dann hoerst du deutlich (leise nur...) drinnen schleicht jemand umher sucht dich in den leeren Raeumen. wenn du schlaefst in deinen Traeumen. Schwer atmend betrittst du den Flur doch ausser dir ist da keiner mehr... Deine Freunde meinen, seit dem Tod deiner Frau waerst du zunehmend sonderbar. Du bist dir sicher, sie wollen dich quaelen. Du haettest grosse Lust ihnen alles zu erzaehlen. Dabei bist du dir sicher, sie wissen genau wie es in Wirklichkeit war. Du hast elf Rollen Nylon mitgebracht und die Faeden sorgsam verlegt von der Heizung zu den Lampen zu den Leisten an der Wand und von dort dann in deine Hand Jetzt kauerst du im Dunkel jede Nacht und wartest, bis sich etwas regt. Und schlaefst du vor Erschoepfung ein derselbe Traum, jede nacht die Faeden reissen, du siehst deine Frau ihr Haar verbrannt, die Lippen grau und wenn du aufwachst , hoerst du sie schrein: Du hast mich umgebracht.... MOERDER! DU HAST MICH UMGEBRACHT! SCHWARZER WITWER! SCHWARZER WITWER! DAS WARTEN RAUBT DIR DEN VERSTAND! SCHWARZER WITWER! SCHWARZER WITWER! DU HAELTST DIE FAEDEN IN DER HAND! SCHWARZER WITWER! SCHWARZER WITWER! DA WAR DOCH WAS! EIN SCHATTEN AN DER WAND! SCHWARZER WITWER! SCHWARZER WITWER! IRGENDETWAS HIER REISST DIR DIE FAEDEN AUS DER HAND! ---------------------------------------------------------------------- Lolita Liebe auf den ersten Blick auf den letzten Blick, auf jeden Blick, Dolly Ich woltle idch toeten, doch es ging nicht ich liebte ich, doch es ging nicht gut Jetzt bist du schon siebzehn Ich war verrueckt ich liebte dich. Ich war verrueckt nach dir Du hast gelitten ich war ein fuenfbeiniges Ungeheuer blind vor Gier Doch es gab Zeiten, da wußte ich wie dir zumute war, meine Kleine Und es war die Hoelle das zu wissen die Hoelle, Dolly! Mag sein, es hat keinen Sinn doch ich muß es wagen, Lo das Leben ist zu kurz und von hier zu meinem Wagen sind zwanzig, dreisig Schritte Geh die dreissig Schritte! Es ist ein kurzer Weg. Komm wie du bist Hoer auf deinen Vater Komm wie du bist Von nun an werden wir gluecklich sein, nur noch gluecklich sein Ich hoffe, du wirst dein Baby lieben Ich hoffe, es wird ein Junge ein Junge, Dolly Wir werden gluecklich sein nur noch gluecklich sein... ---------------------------------------------------------------------- EXODUS Nicht die Kinder nicht die Waisenschar nicht die Strassenjungen nicht nach Treblinka! Nicht mein Volk nicht auf diese Art nicht Sechstausend nicht Sechstausend jeden Tag! Meine Kinder sie reißen sie mir fort meine Kinder verschleppt an einen Ort schlimmer als die Hoelle hier Nicht meinen Glauben nicht den letzten Rest Hoffnung daß man sie leben laesst! Nicht den Stolz nicht das letzte das uns bleibt nicht wie Vieh das man zur Schlachtbank treibt! Meine Kinder verladen zum Transport Meine Kinder verschleppt an einen Ort schlimmer als die Hoelle hier! ---------------------------------------------------------------------- Saitenspiel Mein Kind ist tot! Diptherie! Mein krankes Herz, so schwach wie nie Ich war ein Narr, wie es keinen Zweiten gibt zu glauben, daß Gott mich liebt Umsonst gehofft, umsonst gestrebt Ich habe nur Papier gelebt Zu spät erkannt, daß ich fiel Lebe wohl, mein Saitenspiel! Vier Monate Hotel Vier Monate Neue Welt um zu vergessen was geschah und wegen Geld Es ist nachmittags halb vier Menschenmassen stehen Spalier Ein Leichenzug kriecht heran hält unterm Fenster an Kurze Pause Lautloses Stillstehen Ein Schlag auf die Trommel dann weitergehen, dann weitergehen! Kindertotenlieder Ich hör mich immer wieder sagen: Mal nicht den Teufel an die Wand! Mal nicht den Teufel an die Wand! Er starrt hinaus, tief bewegt Sein Atem stockt, als die Trommel schlägt Er dreht sich um, die Augen weit ein kranker Mann, zum Sterben bereit Bleibe mir mein Stab Geleite mich an mein Grab Ein zwei Schritte noch, nicht viel Lebe wohl, mein Saitenspiel! Müdes Herz, alte Kraft bald hast du genug geschafft Weiter fort bis ans Ziel Lebe wohl mein Saitenspiel! Gott! Laß mich nicht allein Vernichte mich! Ich willnicht länger sein Siehst du nicht? Er ist hier! Der Teufel! Er tanzt es mit mir! Müdes Herz, alte Kraft bald hast du genug geschafft Weiter fort bis ans Ziel Lebe Wohl! Mein Saitenspiel! ---------------------------------------------------------------------- Der Fluesterer im Dunkeln Mutter, wo ist Vater ? Was heißt das, er ist fort? Wohin hat man Ihn gebracht, was ist das für ein Ort? Mutter, ich bin sicher, es ist nur wegen mir Wenn ich erst nicht mehr bin, kommt er zurueck zu dir... Mutter, wo ist Vater? Was heißt das, er ist tot? Weshalb sind deine Kleider schwarz und deine Augen rot? Mutter, all die Menschen, mit versteinertem Gesicht sind unten, im Salon und keiner spricht... Geht weg von mir! Faßt mich nicht an! Ich muß ihn sehn! Laßt mich endlich an sein Bett heran! Das kann nicht sein! Das ist er nicht! Nehmt ihm die Maske ab! Papier umspannt ein Wachsgesicht! Laßt ab von mir! Ich beiße wie ein wildes Tier Ich schreie doch er wacht nicht auf... Ich will vernuenftig sein, doch vernuenftig sein ist schwer Ich weiß, ich bin verrueckt genau wie er Ich sitze Tag und Nacht bei Daemmerlicht aufrecht in meinem Bett und warte, bis er zu mir spricht! (ICHBINHIER) Ich kannihn hoeren! (NEBENDIR) Er ist ganz nah beimir der Fluesterer im Dunkeln! (DREHDICHJETZTNICHTUMMEINSOHN) Wenn du zu Bett bist, Mutter, hoer ich wie die Tuere geht unten, im Salon der Toten Rate, Mutter, rate wer dann vor mir steht Ich wuerde es dir ja sagen, doch er hat es verboten Vater ist zurueck!... Die blonden Locken, die ich hatte als Kind du hast sie aufbewahrt, weil sie wie die von einem Maedchen sind Du wolltest eine Tochter doch du hast mich geboren! Zwei Ratten im Bau, du weißt genau: wir sind verloren! (ESISTZUSPAET) Ich kann ihn hoeren! (VERSTEHSTDUJETZT) Er ist ganz nah bei mir der Fluesterer im Dunkeln! (DUBISTGENAUWIEICHMEINSOHN) Nachts treibt es mich hinaus auf das Feld hinter dem Haus Im Teleskop kann ich sie sehen, wenn sie verloren am Himmel stehen Alt und wirr, zitternd, stumm, die Knochen morsch, der Ruecken krumm So sind mir die Goetter erschienen, Vater war einer von ihnen Den Blick gesenkt, die Lippen schmal, die Stirn zerfurcht, die Wangen fahl So sind mir die Goetter erschienen, Vater war einer von ihnen. ---------------------------------------------------------------------- DIE DREIZEHN BESTIEN Die Schatten unserer Seele Die Geißeln der Menschheit Das sind die Prüfungen Die dreizehn Bestien ---------------------------------------------------------------------- ---------------------------------------------------------------------- Aus Maxi "Isaak" KNOCHENHAUS scharr, scharr verscharr das Gebein grab es tief unten im Keller ein spaeter dann graben es andere aus und nennen dein Haus das Knochenhaus scharr, scharr verscharr das Gebein leg auch ihre weissen Schaedel hinein mit Beton giesst du es aus das Fundament vom Knochenhaus scharr, scharr verscharr das Gebein da ist noch Platz, da passt noch wer rein hier tobte sich der Teufel aus unten im Keller im Knochenhaus ---------------------------------------------------------------------- KAFKA Ich habe Kfka getroffen, auf der Karlibrücke in Prag Niemand sonst hat ihn erkannt, dabei war hellichter Tag Er sagte: "Prag ist unrein, ein Nest voll Insekten." Ich glaube, es waren die Autos, die ihn so erschreckten. Er will zurück nach Berlin, daß hat ihm besser gefallen. Doch er sagt: "Prag läßt nicht los, dieses Mütterchen hat Krallen." Ich habe Kafka getroffen. Noch immer auf der Flucht, vor dem Urteil seines Vaters, das ihn traf mit voller Wucht. Die Sehnsucht nach Schmutz treibt ihn of ins Bordell. Doch die Huren von heute sind ihm zu professionell. Er will zurück nach Berlin, das hat ihm besser gefallen. Doch er sagt: "Prag läßt nicht los, dieses Mütterchen hat Krallen." Ich habe Kafka getroffen, er ist ein einsamer Mann. Doch er sagt: "Ich gebe nicht auf, auch ich sterbe irgendwann." Er hat die dritten Zähne vom in den Schreibtisch beißen. Und immer öfter hat er Lust, sich vor den Zug zu schmeißen. Er will zurück nach Berlin, das hat ihm besser gefallen. Doch er sagt: "Prag läßt nicht los, dieses Mütterchen hat Krallen." ---------------------------------------------------------------------- Alle Texte (c) JANUS Hahn / Riegert 1998 Innovation